In Israel verschärft sich die Lage für Flüchtlinge

"Verdammter Kreislauf"

Israel will härter gegen Flüchtlinge aus Afrika vorgehen. Doch dagegen regt sich zunehmend Widerstand. Als Vorbild dient unter anderem das Kirchenasyl.

Migrantenhaftanstalt Holot / © Marcin Mazur (KNA)
Migrantenhaftanstalt Holot / © Marcin Mazur ( KNA )

Wüste soweit das Auge reicht. Hier und da: ein Hinweisschild auf archäologische Stätten. Am Horizont: die Grenzanlage zu Ägypten. Von hier, aus dem Sinai, sind sie gekommen. Dann, unvermittelt, zweigt eine kleine Straße von der Hauptstrasse 211 ab.

"Holot Aufenthaltszentrum", sagt das GPS. Wegweiser sucht man vergebens. Erst auf den letzten Metern erheben sich für das Auge erkennbar stacheldrahtumzäunte Baracken aus dem Wüstenboden. Die Migrantenhaftanstalt ist schon jetzt, was ihre Bewohner nach dem Willen der israelischen Politik schnellstmöglich werden sollen: unsichtbar.

Geflüchtet nach Israel

Awate ist ein "illegaler Eindringling". So nennt das Land Menschen wie den Eriträer, der vor fünf Jahren aus seiner Heimat nach Israel floh. Awate kam nach Tel Aviv, arbeitete, wann immer er die Gelegenheit hatte, illegal, denn "wie soll ich mein Visum bezahlen, wenn ich nicht arbeiten darf?". Bis er nach Holot geschickt wurde: 12 von 15 Monaten in der Haftanstalt hat er hinter sich. Die Zustände hier seien noch "ganz ok", sagt er und weist mit dem Finger ostwärts.

Knapp einen Kilometer die Straße runter liegt das Saharonim-Gefängnis, "da gibt es unterirdische Zellen, das ist viel schlimmer". Awate zittert. Um diese Jahreszeit kann es kalt werden in der Wüste. "Eriträer sind gute Menschen", sagt er, "aber in diesem Land ist nicht jeder Mensch gleich. Gut ist es hier nur für sie, für uns gibt es kein Leben!" Was seine Träume waren, als er nach Israel kam? Awate gehen die Worte aus, erst die englischen, dann die hebräischen, und schliesslich die Kraft. "Es ist zu schwer für mich, über das alles zu reden."

Grenzanlage zu Ägypten

Israel hadert seit Jahren mit den Flüchtlingen aus Afrika. Eine Grenzanlage zu Ägypten stoppte die unerwünschte Einwanderung. Festnahmen, Abschiebedrohungen und finanzielle Anreize ließen rund ein Drittel der Illegalen das Land verlassen. Gegen die verbleibenden 40.000 kündigte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Jahresbeginn ein härteres Vorgehen an. Die gegenwärtig geltende Ausreiseprämie in Höhe von umgerechnet 2.900 Euro soll schrittweise gestrichen, Holot bis Ende März geschlossen werden. Wer dann noch hier ist, hat die Wahl: zurück in die Heimat, Abschiebung in afrikanische Drittländer oder Gefängnis.

"Das war der Punkt, an dem wir gesagt haben, wir müssen den Menschen eine weitere Option bieten: Israelis, die sich erheben und sagen: Nicht mit uns!", sagt Rabbinerin Susan Silverman vom "Anne Frank Home Sanctuary Movement", einer Initiative von vielen gegen die Abschiebepläne der Regierung. Autoren, Ärzte, Akademiker und Holocaustüberlebende meldeten sich öffentlich zu Wort. Die lange Geschichte der am eigenen Leib erfahrenen Flucht und Verfolgung verpflichten, so ihr Tenor.

Sicheren Status finden

Der Anne-Frank-Bewegung gehen die Aufrufe nicht weit genug. Sie fordert Taten, konkret: zivilen Ungehorsam. Israelis, so die Initiative der "Rabbiner für Menschenrechte", sollen den von Abschiebung Bedrohten Unterschlupf gewähren. "In vielen Ländern ist es nicht strafbar, Zuflucht zu gewähren, Kirchen nutzen dies etwa", sagt Susan Silverman. Welche rechtlichen Konsequenzen in Israel drohen, werde gerade abgeklärt.

Kreative Lösungen, um sich Abschiebungen ungestraft in den Weg zu stellen, sieht auch Eli Philip. Seiner Kampagne "Piloten gegen Abschiebung" haben sich bisher mehr als 130 Piloten und Flugbegleiter angeschlossen. "Nach allem, was wir über die Abschiebeländer wissen, schicken wir Menschen in Tod und Elend", sagt der Jerusalemer. Nach dem Beispiel deutscher Kollegen erklärten die israelischen Flugcrews öffentlich ihre Weigerung, Flüchtlinge auszufliegen. Das unsichere Schicksals der Abgeschobenen und das ungekannte Ausmaß beschreibt Philip als "Notfallsituation, die wir stoppen müssen. Das ist nur der erste Schritt. Wir müssen einen ordentlichen Status für diese Menschen finden."

Mit Mut Veränderungen erreichen

Geht es nach Susan Silverman, ist auch das erst der Anfang. "Wir können das 70-jährige Bestehen Israels dadurch prägen, dass wir das Leiden in der Welt weiterführen. Teil unserer 70-Jahr-Feiern könnte aber auch die Eröffnung einer Universität sein, an der wir afrikanische Asylsuchende in israelischen Technologien ausbilden." Israel stehe vor der Wahl, es anderen Ländern gleich zu tun oder "den verdammten Kreislauf" zu durchbrechen. "Wenn wir Mut finden, können wir unsere Arme öffnen und die Welt verändert. Das hat bisher noch keine Nation probiert."

Vor Holot erheben unterdessen Awate und die anderen Männer aus Eriträa die Arme in hilflosen Gesten zum Himmel. "Ruanda, Ruanda: Wir hören nichts anderes mehr. Wenn sie uns dahin schicken, beginnt alles von vorn: die Flucht, die Wüste, der IS, die Gefahr", sagt Tesfay.

Der Name ist tigrinisch und bedeutet "meine Hoffnung". Das Warten in der Wüste Holot hat ihre Hoffnung längst gedämpft. "Was sollen wir sagen? Es ist immer noch besser als zuhause. Keiner wird in seine Heimat gehen, wo Diktatur herrscht. Die wissen das." In die Verzweiflung mischt sich Entschlossenheit. Sie werden nicht nach Ruanda gehen, auch nicht nach Uganda. "Dann schon lieber Saharonim."


Quelle:
KNA