Unterschiedslos passt sich das Gebäude in den trostlosen Charme des Industriegebiets südlich von Bet Schemesch ein. Nichts an seinem unscheinbaren Äußeren lässt den kostbaren Kern erahnen: Mit einer Millionen Funde aus mehreren Jahrtausenden birgt der Bau auf 5.000 Quadratmetern das Allerheiligste der israelischen Archäologie. Rund ein Drittel von ihnen bezeugen die uralte christliche Präsenz im Heiligen Land und die reiche kulturelle Blüte, die mit den frühchristlichen Pilgern aufkeimte. Die Sammlung wächst beständig: Mit jährlich 300 Ausgrabungen gehört Israel zu den archäologisch besterschlossenen Plätzen.
Tonvasen füllen die deckenhohen Metallregale. Blaue Plastikkisten mit Öllämpchen stehen neben Regalreihen voller Ossuarien. Von der Steinzeit über die diversen Phasen der Eisen- und Bronzezeit, von der Römerzeit über die Perser zur islamischen Epoche und die Kreuzfahrer ist die Geschichte des Heiligen Landes hier Meterware. Von Gesetz wegen werden alle dem Staat Israel gehörenden Artefakte im zentralen Antikenlager, dem "Nationalschatz", gelagert, erklärt Gideon Avni, Chef der archäologischen Abteilung der israelischen Antikenbehörde.
Unscheinbare Lagerhalle
Ausnahmen bilden "B-Funde", die in einem riesigen Lager unter einer Schnellstraßen-Kreuzung aufbewahrt werden, und besonders sensible Münz- und Textfunde, für deren klimatisierte Aufbewahrung das Israelmuseum die besseren Bedingungen bietet. Funde aus der Zeit vor der Staatsgründung von 1948 bilden eine weitere Ausnahme. Alles andere aber liegt in der unscheinbaren Lagerhalle in Bet Schemesch, rund 30 Kilometer westlich von Jerusalem. Seine Hüter sagen: Einen zweiten Ort wie diesen gibt es nicht - und er platzt bald aus allen Nähten.
Eigentlich, sagt Kuratorin Deborah Ben-Ami, pflegt man im archäologischen Nationalschatz eine liberale Politik: die Sammlung steht Forschern, Studenten und im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten auch interessierten Laien offen. Die Grenze dieser Möglichkeiten ist schlicht der fehlende Platz. Mit dem doppelt so großen Neubau, der gegenwärtig in Jerusalem entsteht, soll die israelische Öffentlichkeit leichteren Zugang zu den gesammelten Altertümern ihres Landes haben. Noch fehlen die nötigen Gelder, um das künftige Heim der Funde fertigzustellen.
Akkurate Rekonstruktion
Der Vorteil eines Zentrallagers liegt für die Kuratorin auf der Hand: Während in einem Museum einzelne Stücke ausgestellt werden, kann der zentral verwaltete Antikenschatz mit seinen Funden umfassend Einblick in eine bestimmte Epoche oder zu einer konkreten Stätte bieten. Für die Zeit Jesu heißt das laut Gideon Avni: "Wir können sehr akkurat die täglichen Aspekte im Leben Jesu rekonstruieren, von der Geburtskirche zur Grabeskirche, von seiner Geburt bis zu seiner Kreuzigung. Aus den Artefakten geht hervor, was er aß, welches Wasser und welchen Wein er trank, wie lange man von Jerusalem nach Jericho brauchte und wie die Fischerei im See Genezareth aussah."
Nicht alles, was in den Evangelien steht, lässt sich nach Worten des Wissenschaftlers archäologisch untermauern. Aber unter den jährlich geschätzt 40.000 neuen Artefakten sind auch immer neue Funde aus der Zeit Jesu, die den archäologischen Verständnishorizont erweitern. Soweit die gute Nachricht. "Die schlechte ist, dass bis heute kein Fund darunter ist, den wir physisch der Person Jesu zuordnen können."
Wie im Evangelium beschrieben
Das aber ist für den Archäologen letztlich kein Wunder, handelt es sich doch nicht um einen König oder Herrscher oder mächtigen Mann: "Jesus war einer von einer Million Menschen seiner Zeit im Heiligen Land und wurde erst lange nach seiner Kreuzigung zum Auslöser einer sehr viel größeren Bewegung."
Dem "jungen Juden mit seinen interessanten Ideen" archäologisch auf seinem Weg durch das Land zu folgen, sei schwierig, sagt Gideon Avni. Aber immerhin gilt: "Das Narrativ und der Background sind korrekt: Wir können heute sagen, dass wir die Orte und die Gesellschaft wiederfinden können, die in den Evangelien beschrieben wird."