DOMRADIO.DE: Was genau ist an der Klagemauer passiert?
Abt Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin der Letzte, der an die Westmauer oder Klagemauer, wie wir im Deutschen oft sagen, in voller Montur mit dem Kreuz gehen würde um dort zu beten. Ich war keinesfalls im Gebetsbereich, da würde ich auch immer sensibel sein.
Ich war nur auf dem Platz vor dem Gebetsbereich, wo auch jüdische Männer keine Kippa tragen müssen. Das ist ein öffentlicher Raum. Und das ist das Skandalöse. Es ist schwer zu vergleichen. Das wäre so, als wenn mich jemand auf der Kölner Domplatte ansprechen würde, dass ich mich bitte so kleide, wie in der Kathedrale.
DOMRADIO.DE: Wie kam es denn zu der Auseinandersetzung?
Abt Nikodemus: Ich hatte eine Führung. Ich durfte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger durch Jerusalem führen. Es waren die letzten fünf Minuten der Führung und es ging nur darum, dass ich während der Tour diesen Platz kreuzen wollte. Ich habe keine Anstalten gemacht zu beten oder sonst was. Ich wollte sie nur noch zu ihrem Auto bringen und mich am Misttor, dem "Dung-Gate" verabschieden. Das grenzt an einen großen öffentlichen Platz.
Dort wurde ich dann von einer Frau der "Western Wall Heritage Foundation" angegangen. Die sagte, ich solle mein Kreuz abnehmen. Ich habe gesagt: "Entschuldigung, ich bin mir wirklich keiner Schuld bewusst. Ich meine, so laufe ich immer rum. Als Abt hat man ein Brustkreuz."
Sie sagte daraufhin: "Das Kreuz ist zu groß und muss jetzt abgenommen werden". Ich sagte: "Das ist einfach Teil meines Dresscodes".
Dann bin ich weitergegangen, wir wollten uns da ohnehin nicht groß aufhalten. Wir haben einfach den Platz gekreuzt. Das war eine sehr merkwürdige Begegnung. Im öffentlichen Raum wurde ich angegangen, dass ich nicht so herumlaufen darf, wie ich das immer tue.
DOMRADIO.DE: Also zur Klarstellung: Es war nicht so, dass Sie auf den Gebetsplatz wollten und dann aus Protest gegangen sind.
Abt Nikodemus: Absolut nicht. Ich würde mich gerade als Abt in voller Montur nicht einfach unter die jüdischen Beter stellen. Das könnte tatsächlich provokativ aufgefasst werden. Ich habe von meinen ganzen Bewegungen her überhaupt keine Anstalten gemacht, mich irgendwie der Westmauer zu nähern.
DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich das? Ist das eine neue Herangehensweise der Behörden? Oder ist das einfach bloß ein ungünstiger Zwischenfall gewesen?
Abt Nikodemus: Das war schon eine offizielle Beamtin. Es ist nicht so, dass mich jemand privat angegangen wäre. Ich erlebe es immer wieder, angespuckt zu werden, verbal angegangen zu werden.
Ich wurde in offizieller Funktion angegangen und das durchaus in einer massiven Art und Weise und auch nicht unbedingt höflich. Das fand ich schon in Ton und Art und Weise absolut unangemessen.
Wenn ich mich nicht mehr im öffentlichen Raum des jüdischen Viertels als Benediktinerabt bewegen darf, dann sind wir genau da, wo wir doch hoffentlich nicht hin wollen, dass das jüdische Viertel für Christen eine "No-Go-Area" wird.
DOMRADIO.DE: Vermuten Sie politische Hintergründe? Hat das mit der neuen rechten Regierung zu tun?
Abt Nikodemus: Man merkt schon eine Atmosphäre, die auch andere beobachten, die auch der Lateinische Patriarch kürzlich im Interview noch einmal erwähnt hat. Das sind für mich Auswirkungen der nicht mehr ganz so neuen israelischen Regierung.
Diese Frau hat mir Unrecht getan. Sie hat keine Regeln befolgt. Sie sagte, die Verhüllung des Kreuzes sei eine Neuregelung. Damit hat sie gelogen. Es gibt keine neue Regelung, die mir verbietet, im öffentlichen Raum im jüdischen Viertel als Benediktinerabt herumzulaufen.
Da hat man das Gefühl, dass die Wählerinnen und Wähler dieser rechtsextremen Parteien für sich selbst neue Regeln aufstellen.
Ich fände es furchtbar, wenn wir dorthin kommen, dass Jerusalem keine Stadt mehr für die drei großen monotheistischen Religionen ist, wenn eben nicht mehr Juden, Christen, Muslime gleichermaßen willkommen sind und diese Stadt einfach in aller positiven Religionsfreiheit genießen dürfen.
DOMRADIO.DE: Über den Twitter-Kanal der Israelischen Botschaft in Deutschland gab es eine offizielle Entschuldigung der "Western Wall Heritage Foundation". Hat sich das Thema für Sie denn jetzt erledigt?
Abt Nikodemus: Ich habe diese Entschuldigung selbst nicht bekommen. Das hat mich nicht erreicht. Ich müsste noch einmal schauen. Wir haben so viele Übergriffe dieses Jahr im Kleinen und Großen gehabt. Hinterher wird das dann immer entschuldigt und als Einzelfall weggelächelt. Das ist einfach ermüdend.
Was es jetzt braucht und da warten wir Christen schon lange drauf, ist eine Reaktion von allerhöchster Stelle, vom Ministerpräsidenten, von der derzeitige Regierung. Es muss mal ganz klare Kante gezeigt werden, dass es so nicht geht. Da ist das Schweigen mehr als auffällig.
Auch heute ist mir nicht untergekommen, dass irgendein Mitglied der Regierung irgendeine Stellungnahme dazu abgegeben hätte, geschweige denn zu vielen anderen Vorfällen, die dieses Jahr schon passiert sind. Man hat das Gefühl, es gibt ein Phänomen, bei dem man aktiv wegschaut.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie wünschen sich eine Entschuldigung, eine Reaktion von politischer Seite?
Abt Nikodemus: Meinen Fall würde ich jetzt nicht so hoch hängen. Wenn man sieht, wie hier Kirchen geschändet werden, ich angespuckt werde, ist so ein Kreuz-Vorfall noch mein geringstes Problem.
Ich habe mich auch gewundert, wie dieser eher kleine Zwischenfall auf einmal so groß Furore macht. Ich muss ganz andere Sachen erleben. Aber man merkt, dass die derzeitige Regierung nicht nur ignorant gegenüber dem Problem ist, sondern Teil des Problems.
Da vermisse ich sehr stark eine klare Haltung, dass man sich dieser Form von Extremismus und auch den Formen des jüdischen Terrorismus, den es ja auch gibt, klar entgegenstellt. Da hat man doch das Gefühl, auf diesem Auge ist man bei der derzeitigen Regierung sehr blind.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.