DOMRADIO.DE: Von den Räumen der "Zukunftswerkstatt SJ" aus sieht man die Skyline von Frankfurt. Draußen die bunte, lebendige Stadt - und hier drinnen die stille Einkehr. Ist das für Sie ein Kontrast, Pater Ortner?
Pater Sebastian Ortner SJ (Leiter der Zukunftswerkstatt SJ in Frankfurt): Das geht gut zusammen. Hier findet man Gott mitten im Alltag, mitten in der Metropole Frankfurt. Hinter dem Haus liegt der Stadtwald, ein paar Meter entfernt des Mains. Hier kann man gut spazieren gehen und runterkommen. Das suchen die Leute, die zu uns kommen. Es soll eine Auszeit sein: raus aus dem Hamsterrad des Alltags, rein in die Zeit für sich. Das Handy kann ausgeschaltet werden, der Autoresponder bei den E-Mails ein.
Trotzdem sind die Jugendlichen nicht ganz außerhalb der Welt. Wir wollen ihnen ein Stück Geborgenheit bei Gott schenken und Ruhe. So können sie sich mit den Dingen auseinandersetzen, die sie beschäftigen. Hier, mitten in Frankfurt werden sie still, schweigen und hören auf das, was im Gebet hochkommt.
DOMRADIO.DE: Pater Blattert, Sie haben die Zukunftswerkstatt vor sechs Jahren gegründet. Was sollen junge Menschen hier finden?
P. Clemens Blattert SJ (Leiter des Zentrums für Berufungspastoral im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz): Damals war ich noch Studentenpfarrer in Leipzig und habe die Studierenden gefragt: Stellt euch vor, ihr hättet einen Priester zu 100 % nur für euch. Was soll er für euch tun? Einzige Einschränkung: Es soll um das Thema Berufung gehen. Die haben gesagt: "Biete uns einen Ort an, wo wir zu uns selbst kommen können. Zeig‘ uns, wie wir die eigene Stimme von der Stimme Gottes unterscheiden können."
Und da dachte ich: "Ja, das können wir Jesuiten. Das macht unsere Spiritualität aus." Die jungen Menschen zu befähigen und starkmachen, dass sie mit Gott in Austausch treten können, das ist die Grundidee. Von da aus können sie dann zu sich finden und letztlich ihre Berufung finden.
DOMRADIO.DE: Woraus setzt sich der Alltag in der Zukunftswerkstatt zusammen?
P. Ortner: Aus gemeinsamen Gebetszeiten und Mahlzeiten. Hierhin kommen junge Menschen für ein Wochenende, für eine Woche oder eine längere Zeit als "Permanents", die ihren Berufsalltag, ihr Studium, ihre Ausbildung für ein halbes Jahr oder Jahr unterbrechen, um hier Klarheit zu bekommen, wo es in der Zukunft hingehen soll.
Wir beginnen um 7:00 Uhr mit den Laudes, dem Morgengebet, um 7:30 Uhr gibt es eine Messe. Das Frühstück um 8:00 Uhr nehmen wir schweigend ein. Dann gibt es um 11:45 eine Mittagsbetrachtung eines Bibeltextes, gefolgt vom Mittagessen. Dann das Abendessen um 19:00, eine Abendbetrachtung um 20:15 Uhr und dann der Tagesrückblick um 21:00 Uhr. Es gibt also eine dichte Struktur, die aber doch auch Freizeiten lässt.
P. Blattert: Man muss ehrlich sagen: So richtig viel passieren - im Sinne von Bespaßung - tut hier nicht. Es gibt sehr viel geschenkten Freiraum. Und in dem kommt das zum Leben, was die Leute in sich tragen. Herzstück ist die Begleitung: In den Gesprächen, vor allem mit Sebastian, können die jungen Menschen völlig unzensiert reden. Sich diese Freiheit zu nehmen, löst sehr viel aus.
DOMRADIO.DE: Pater Ortner, Zukunftswerkstatt klingt nach Handwerk. Kann man seine Berufung mit Hammer, Meißel und Hobel an der Werkbank zusammenschreinern?
P. Ortner: Die Werkstatt ist ein ganz gutes Bild für das, was hier passiert. Auch wenn es bei uns sehr ruhig zugeht. Aber in der Stille und im Gebet wirkt und werkt Gott. Den obersten Handwerksmeister sieht man vielleicht nicht direkt, aber er ist trotzdem sehr präsent und bewirkt sehr vieles in dieser Werkstatt.
Wir geben da das passende Handwerkszeug mit auf den Weg: den Tagesrückblick am Abend etwa. Da nimmt man sich Zeit, den vergangenen Tag Stunde für Stunde durchzugehen, ihn Gott anzuvertrauen und zu schauen, was gut gelaufen ist, worüber ich mich freue - und was noch an dunklen Wolken da ist, die über mir schweben? Das alles Gott zu übergeben und dadurch sensibler für das zu werden, was mich bewusst oder unbewusst beschäftigt.
P. Blattert: Würdest Du nicht auch sagen, dass der Herrgott an den Menschen hier ganz gut hobelt und schleift? Da fliegen schon auch Späne. Man ist eben selbst das Stück, das bearbeitet wird. Wenn Leute sich auf so eine Auseinandersetzung mit sich und Gott einlassen, dann ist das unglaublich schön. Aber es schmerzt manchmal auch, was man in der Stille und im Gebet bei sich selbst entdeckt.
P. Ortner: Die Zukunftswerkstatt ist jedenfalls keine Autowerkstatt, wo ich mein Auto hinstelle, am Ende bezahle und es wieder mitnehme. Ganz im Gegenteil: Do it yourself! Ich lerne, selbst zu reparieren und zu gestalten. Sonst bewirkt das Ganze sehr wenig oder gar nichts.
P. Blattert: Da sprichst du eine wichtige Voraussetzung an für Leute, die in die Zukunftswerkstatt kommen: Die müssen schon selbst eine Veränderung wollen. Hierher zu kommen und zu konsumieren, das funktioniert nicht. Der Konsument bringt dann einfach das Auto nicht mit in die Werkstatt - und dann können auch wir nicht helfen.
DOMRADIO.DE: Pater Blattert, Sie leiten jetzt das Zentrum für Berufungspastoral im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Was ist die größte Herausforderung bei der Berufungssuche junger Menschen?
P. Blattert: Die Veränderungen innerhalb der Kirche und der Gesellschaft - und der damit verbundene Frust derer, die für die Kirche arbeiten. Berufungspastoral bedeutet für mich, unter anderem, für die da zu sein, die in der Kirche arbeiten. Momentan kommt mir die Situation in der Kirch wie ein Erdbeben vor: Da muss man sich gegenseitig unterstützen, um zu überleben und den Kontakt zur eigenen Berufung nicht zu verlieren. Da gehört für mich auch Trauerarbeit dazu: Vieles in unserer Kirche vergeht, was nicht mehr zurückkommen wird. Das ist sehr schwer, wenn man 20 oder 30 Jahre Pastoralreferentin oder Priester ist. Da hat man in einer ganz anderen Kirche angefangen, als sie es heute ist.
Ein zweiter wichtiger Aspekt meine Arbeit ist: Junge Menschen geistlich begleiten. Egal ob in Köln, in Speyer, in Augsburg oder sonst wo in Deutschland: Junge Menschen suchen Begleitung. Und diese Begleitung ist eine Kunst. Da sehe ich eine Aufgabe der Berufungspastoral auf Bundesebene: Leute auszubilden, die dann für junge Menschen da sein können und sie auf ihrem Weg begleiten.
DOMRADIO.DE: Pater Ortner, was macht Ihnen am meisten Freude an der Arbeit in der Zukunftswerkstatt?
P. Ortner: Am meisten Freude macht mir zu sehen, was in jungen Menschen passiert. Es ist eine Gnade, die da wirkt und für die diese Leute sich öffnen. Dann ist es beeindruckend zu sehen, was daraus entstehen kann: Entscheidungen und Mut, Klarheit und neue Lebensenergie. Das Leben wird erfüllter und die Menschen können mit Freude weitergehen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der jungen Leute in der Kirche?
P. Ortner: Ich wünsche ihnen Freiraum, in dem etwas Neues entstehen kann. Es soll das wachsen können, was in den jungen Erwachsenen schon angelegt ist. Bei der Priesterweihe wird das Gebet gesprochen: "Vollende Du das gute Werk, das Du in ihm begonnen hast." Das wünsche ich den jungen Menschen: Dass sie in der Kirche ihre Berufung leben können und darin durch Strukturen unterstützt werden.
P. Blattert: Dass sie Zeit für sich haben und darin Gott entdecken dürfen. Etwas Besseres und Schöneres gibt es nicht. Ich wünsche den jungen Menschen, dass sie trotz dieser vielen Skandale und schlechten Nachrichten um die Kirche den Mut haben, sich auf eine Beziehung mit Gott einzulassen, ihn mehr kennenzulernen und zu erfahren, dass das ein bereicherndes Abenteuer ist. Sie sind herzlich eingeladen, den Start oder die Intensivierung hier in der Zukunftswerkstatt zu machen.
Das Interview führte Gerald Mayer.