DOMRADIO.DE: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Belarus denn ein?
Markus Ingenlath (Geschäftsführer des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis): Ja, das ist ganz schwer einschätzbar. Das Regime versucht ja, alle Internet-Verbindungen im Land und aus dem Land heraus zu unterbrechen.
Journalisten sind ohnehin nicht zugelassen, auch keine externen. Wir sind also angewiesen auf das, was an spärlichen Informationen über die verbliebenen funktionierenden Internetleitungen und meistens auch über die unmittelbaren Nachbarländer an Nachrichten und Bildern herauskommt. Wir tun uns also im Westen auch schwer, das offiziell verkündete Wahlergebnis richtig einzuschätzen. Wahlbeobachter seitens der OSZE waren ja verboten worden.
Nachwahlumfragen waren ebenfalls verboten. Die setzen gewöhnlich ganz gute Trends fest und werden bei uns regelmäßig für die ersten Hochrechnungen nach den Wahlen genutzt. Wir haben aus einigen Ergebnissen aus Wahlbezirken in großen Städten, die den Weg in die Veröffentlichung gefunden haben, ein überraschend starkes Ergebnis für die Opposition feststellen können. Aber wir wissen natürlich überhaupt nicht, ob sich das in die Fläche der ländlichen Gebiete hochrechnen lässt.
DOMRADIO.DE: Es ist ja auch zu Polizeigewalt gekommen. Die katholische Kirche hat sich bislang in politischen Fragen eher zurückgehalten. Jetzt schlägt der Minsker Erzbischof einen runden Tisch vor, um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Kann man Präsident Lukaschenko so zu einem Dialog bringen?
Ingenlath: Ich nehme an, dass der Minsker Metropolit und Erzbischof nicht im Alleingang handelt. Wir haben so etwas ähnliches aus dem Mund des orthodoxen Metropoliten gehört, was natürlich noch wesentlich mehr Gewicht hätte. Die Katholiken sind nur etwa zehn Prozent der Gläubigen im Land.
Heute folgt nun ein Aufruf zum ökumenischen Gebet seitens katholischer und orthodoxer Kirche, was auch ganz selten ist. Hier müsste meines Erachtens Lukaschenko jetzt direkt Stellung beziehen. Er hat ansonsten die orthodoxe Kirche auch, wie sein Amtskollege in Moskau, zur Selbstinszenierung an Feiertagen gerne genutzt. Wenn es jetzt nachdrückliche Versuche der orthodoxen Kirche und der anderen Kirche gäbe, eine Vermittlung einzuführen, könnte er sich nicht so einfach entziehen.
Entscheidend wird dann noch sein, wie sich die EU verhalten wird. Wird sie sich dazu aufraffen können, die Sanktionen wieder zu verschärfen? Und dass sie ihm vielleicht auch alle Möglichkeiten aufzeigt, wie er zurücktreten kann. Angeblich ist Lukaschenkos Familie schon in einen Golfstaat ausgereist. Der Diktator muss meines Erachtens auch dazu gebracht werden, das Gefühl zu haben, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt zum Abflug ist.
DOMRADIO.DE: Was können Hilfswerke wie Renovabis in der gegenwärtigen Situation für die Menschen in Belarus tun?
Ingenlath: Mich persönlich hat der Aufruf "Betet für uns", der uns von den Projekpartnern erreicht hat, sehr berührt. Nach dem Motto: "Das Regime zeigt uns jetzt sein wahres Gesicht. Jetzt hilft nur noch Beten." Wir hier in Deutschland, leben in Frieden, Freiheit, Rechtsstaat und können unsere Meinung selbst in Demonstrationen zeigen – selbst gegen die Maskenpflicht.
Dort geht es um elementare Menschen- und Bürgerrechte. Deswegen wird Renovabis alles tun: Erstens, dass es denen, von denen es Informationen erhält, klar den Schutz zusichert. Dann wird aber Renovabis auch zum Gebet aufrufen für einen friedlichen Ausgang des Geschehens und Vermeidung von weiterem Blutvergießen.
Dann wird Renavobias natürlich weiter informieren, sodass die Menschen in Belarus und ihre Anliegen hier nicht vergessen werden. Minsk liegt von Berlin aus genauso weit weg wie Paris – nur im Osten. Da müssen wir einfach das Gefühl geben, dass wir hier in Deutschland an der Seite der Menschen stehen und wir uns als Renavobis auch nicht aus der Förderung von Projekten verabschieden.
Das Interview führte Tobias Fricke.