KNA: Herr Bischof, was hat Sie zum Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt bewogen?
Wanke: Grund meines Rücktritts vom Bischofsamt ist meine labile gesundheitliche Situation. Zwei Herzoperationen innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte bleiben nicht ohne Folgen.
KNA: Sie waren länger als jeder andere ostdeutsche Bischof in zwei grundverschiedenen Gesellschaftssystemen im Amt, fast ein Jahrzehnt in der DDR, danach über 20 Jahre im wiedervereinten Deutschland. Wie hat diese ungewöhnliche Herausforderung Sie geprägt?
Wanke: Die Erfahrung des Mauerfalls und einer neuen Freiheit habe ich als großes Geschenk empfunden - und empfinde dies bis heute. Im Übrigen hat mich diese "Wendeerfahrung" gelassener gemacht im Blick auf das gesellschaftliche Umfeld, in dem die Kirche ihren Dienst auszurichten hat. Damals wie heute kann und will das Evangelium Orientierung und Halt geben. Und zudem bin ich jetzt noch fester davon überzeugt, dass Gott auch Herr der Geschichte ist.
KNA: Welche Erfahrungen der Katholiken in der DDR sind Ihnen auch aus heutiger Sicht wichtig für die Zukunft der Kirche?
Wanke: Der Gottesglaube braucht zum Durchtragen eine konkrete Kirchlichkeit. Die Erfahrung des Zusammenhalts in den Gemeinden, die treue Mitfeier des Kirchenjahres und gelebte Geschwisterlichkeit der Katholiken in der weiten Diaspora sind unser Lebenselixier gewesen. Es brauchte eine gewisse Tapferkeit, nicht auf Dank und Anerkennung durch die Umwelt zu warten. Eine geistliche und intellektuelle Eigenständigkeit damals angesichts der ideologischen Indoktrination und jetzt angesichts eines kulturellen und weltanschaulichen Pluralismus wird auch für den Christen von morgen wichtig sein.
KNA: Sie haben lähmenden Missmut und gegenseitige Schuldzuweisungen der verschiedenen Lager in der Kirche beklagt. Was raten Sie, um aus dieser Situation herauszukommen?
Wanke: Zum einen ist es der Blick in die Geschichte der Kirche in ihrem Auf und Ab, der mich trösten kann. Zum anderen hilft die Einsicht: Die wirklichen Kirchenreformen, die neue geistliche Lebenskraft verleihen, speisen sich immer von "innen". Es braucht eine Hebung des geistlichen "Grundwassers" im Gottesvolk, was nicht heißt, dass nicht auch kluge Reformschritte nötig sind. Es gilt, heutige Lebenswirklichkeiten neu mit der Verheißung des Evangeliums zu durchdringen. Eine Pastoral der Barmherzigkeit bedeutet ja nicht "Marscherleichterung" auf dem Weg zu Gott. Aber unsere kirchlichen Ordnungen müssen Lebenshilfen bleiben. Sie dürfen niemanden abschreiben und sollen vor allem Mut machen, auch heute die Nachfolge Christi zu wagen.
KNA: Nicht nur als langjähriger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland haben Sie sich stark für die Ökumene engagiert. Wie können sich die Christen verschiedener Konfessionen einander weiter annähern, was bringt nicht weiter?
Wanke: Was uns nicht weiterbringt, ist ein gegenseitiges Sich-Fixieren und -Messen. Freundschaft wächst durch den gemeinsamen Blick auf eine große Aufgabe. Und die besteht für alle Kirchen und Christen darin, die gute Botschaft von Jesu Ostersieg über Sünde und Tod allen Menschen weiterzusagen. Dass so viele Menschen in Thüringen Jesu Gleichnis vom barmherzigen Vater nicht kennen, macht mich unruhig - und wenn Sie so wollen: ökumenisch weitherzig. Paulus sagt im Brief an die Philipper (1,12-15) einmal sinngemäß: Wenn nur Christus verkündet wird, dann bin ich"s zufrieden. Helfen wir einander in der Ökumene, beim Evangelium zu bleiben. Ohne Christus können wir sowieso nichts Entscheidendes tun.
KNA: Auch innerkirchlich haben Sie um Verständnis für die "konfessionslosen" Ostdeutschen geworben und davor gewarnt, ihnen ethische Werte abzusprechen. Was möchten Sie einem Thüringer, der nach eigenen Worten nicht "kirchlich gebunden" ist, mit auf den Weg geben?
Wanke: Den kirchenfernen Thüringern möchte ich raten: Wer innerlich unsicher ist, ob man mit Gott und seiner Verheißung wirklich rechnen kann, dem empfehle ich darüber nachzudenken, ob nicht seine tiefsten Wünsche für sich persönlich und für die Menschen, die er liebt, ja auch die Visionen, die sein berufliches und gesellschaftliches Engagement für dieses Land und seine Menschen tragen, nicht doch etwas mit der Hoffnung zu tun haben, die der Glaube an den Gott Jesu schenkt. Es geht schließlich nicht nur um etwas Lebensglück für ein paar Erdenjahre, sondern um ein Leben, das den Tod ins Unrecht setzt. Sollte diese Sehnsucht wirklich nur eine Illusion sein?
KNA: Und was wünschen Sie Ihrem Nachfolger im Bischofsamt?
Wanke: Das, was mich in den Jahren meines Dienstes getragen hat: kluge, verlässliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein Gottesvolk, über dessen Gottesglauben und dessen Mittun beim "gemeinsamen Werk" , wie mein Vorgänger Bischof Aufderbeck gern sagte, sich auch ein Bischof immer wieder freuen kann.
KNA: Nun steht Ihr Ruhestand an, was haben Sie sich dafür vorgenommen?
Wanke: Es gibt keine großen Pläne, sondern nur den Vorsatz, in Thüringen, näher hin in Erfurt zu bleiben und in der Seelsorge mitzuhelfen, solange Gott dazu die Kraft gibt. Und zudem gibt es viele schöne Orte und Gegenden, die ich gern noch kennen lernen möchte.
Das Gespräch führte Gregor Krumpholz.
Joachim Wanke zur Zeit als Erfurter Bischof
"Ökumenisch weitherzig"
Nach über 31 Amtsjahren ist Joachim Wanke von der Spitze des Bistums Erfurt zurückgetreten. Ein Gespräch mit dem dienstältesten ostdeutschen Bischof über den Grund seines Amtsverzichts, die prägenden Erfahrungen seiner Bischofsjahre und seine Pläne für die Zukunft.
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