Jubiläumsgottesdienst mit Weihbischof Puff zu 20 Jahren Gubbio

"Ein authentischer Ort gelebter Barmherzigkeit"

Es war Schwester Alexa, die damals nicht locker gelassen hat, einen Ort für die vielen Obdachlosen in Köln zu finden, wo sie sein können, wie sie sind. Heute erfahren sie im Gubbio ein Stück Heimat und auch so etwas wie Geborgenheit.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Herzliche Begrüßung zwischen Schwester Alexa und Lothar, der seit Jahren an den Gottesdiensten im Gubbio teilnimmt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Herzliche Begrüßung zwischen Schwester Alexa und Lothar, der seit Jahren an den Gottesdiensten im Gubbio teilnimmt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Alles ist möglich dem, der liebt. Alles ist möglich dem, der sich gibt… den anderen sieht. Die Liebe öffnet Türen, die Liebe geht auf’s Ganze. Wer liebt, gibt Gott ein Gesicht." Die Band Ruhama bringt am Ende des Gottesdienstes, den Weihbischof Ansgar Puff als Dankmesse feiert, noch einmal mit einem Lied auf den Punkt, um was es im Gubbio, der "Kirche für Menschen auf dem Weg", wie das franziskanische Zentrum der Obdachlosenseelsorge an der Kölner Ulrichgasse überschrieben ist, im Wesentlichen geht. Und die rund 100 Gäste, die gekommen sind, um das 20-jährige Bestehen dieser Einrichtung zu feiern, stimmen mit ein in den Refrain oder sie wippen – wenn ihnen die Stimme versagt – leicht mit dem Fuß.

Lothar ist einer von ihnen. Mit großem Hallo war er zuvor von Schwester Alexa und Bruder Hermann-Josef, den Gründern des Gubbio, begrüßt worden. In seinem Rollstuhl, an dem sein weniges Hab und Gut in Plastiktüten hängt, schiebt er sich einmal quer durch den Kirchenraum und macht an den vielen Tischen und Stühlen, die längst die Kirchenbänke von einst ersetzen, alte Bekannte aus, darunter einige Kumpel, die wie er überwiegend draußen leben und schon den Großteil ihres Lebens Platte machen, inzwischen aber längst zu den regelmäßigen Gästen im Gubbio gehören. Aber auch viele ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind dabei sowie Verantwortliche aus anderen Obdachloseneinrichtungen des Stadtdekanats Köln und Menschen, die diesem Zentrum von Anfang an verbunden sind. Sie alle wollen diesen außergewöhnlichen Ort feiern, der der Botschaft Jesu ganz nahe kommt. Denn das Gubbio steht dafür, die Menschen am Rande der Gesellschaft in die Mitte zu stellen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, Würde zu geben und nicht danach zu fragen, woher sie kommen und was vorher war. In den meisten Fällen sind Schicksalsschläge der Auslöser für Wohnungslosigkeit, Mietschulden gepaart mit einer wirtschaftlichen Notlage kommen dann schnell on top, und schon gerät das Leben aus dem Gleichgewicht.

Lothar, wohnungslos

"Die sind voll in Ordnung und haben mir schon so viel geholfen, vor allem, damit ich im Winter nicht draußen schlafen muss."

"Die Messe tut mir gut", sagt Lothar. "Hier finde ich Ruhe und Stille." Und er stellt Bruder Markus Fuhrmann, der inzwischen Provinzial der deutschen Franziskaner in München ist, aber von 2010 bis 2019 das Gubbio geleitet hat, und der heutigen Leitung, Schwester Christina Klein, Pastoralreferent Stefan Burtscher und Weihbischof Ansgar Puff, nur Bestnoten aus. "Die sind voll in Ordnung und haben mir schon so viel geholfen, vor allem, damit ich im Winter nicht draußen schlafen muss." Denn die meiste Zeit im Jahr verbringe er unter einer Brücke an der Deutzer Freiheit.

Markus Häussermann singt an diesem Tag im Projektchor mit, der eigens für das Jubiläum zusammengestellt wurde. Auch er weiß nur allzu genau, wie schnell man gesellschaftlichen Halt und Orientierung verlieren kann, wenn man an einer der vielen Wegkreuzungen im Leben falsch abbiegt und das mit einem Mal eine ganze Kettenreaktion auslöst, bei der ein Problem aufs andere folgt – bis hin zur totalen Auswegslosigkeit. Eigentlich, so erzählt der 64-Jährige, habe er mal ein bürgerliches Leben geführt, sogar Jura studiert, aber eben endlos lang und nie einen Abschluss gemacht. Auch als Speditionskaufmann hat er schon gearbeitet – aber auch dabei kaum Durchhaltevermögen gezeigt. Immer wieder habe er etwas Neues ausprobiert, sei aber genauso oft auch entlassen worden. Acht Jahre lang ist er schließlich als Busfahrer tätig gewesen, berichtet er, bis er seinen Alkoholkonsum nicht mehr im Griff hatte, die Sucht erst alle sozialen Beziehungen zerstört und am Ende schließlich auch zu einer Zwangsräumung seiner Wohnung geführt hat. 

Markus Häussermann

"Im Gubbio erlebe ich das Gefühl, dass aus dem, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, immer noch etwas Gutes entstehen kann."

Heute ist Häussermann trocken, hat eine kleine Wohnung in Mülheim, lebt vom Bürgergeld und hilft im Gubbio mit. Nochmals in seinen Beruf als Busfahrer zurückkehren kann er nicht. Die Rückfallgefahr sei zu groß. "Ich unterstütze nun diese Arbeit hier, um nicht zu vergessen, wo ich herkomme", begründet er sein Engagement. "Hierher kann man kommen, egal was man vorher gemacht hat. Meist feiere ich den Gottesdienst mit, und obwohl ich evangelisch bin, schätze ich die katholischen Rituale." Man brauche ja ein Leitbild und Ansgar sei ein "Leute-Pfarrer", der trotz seines Bischofamtes nie den Kontakt zur Basis verloren habe. "Im Gubbio erlebe ich das Gefühl, dass aus dem, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, immer noch etwas Gutes entstehen kann." Für ihn sei diese Anlaufstelle für Obdachlose daher inzwischen auch ein Stück Familie. "Die Leute nehmen mich hier, wie ich bin."

Stefan Burtscher

"Hier gehöre ich als Mensch und Christ hin. Mein Herz hängt an den Begegnungen mit diesen Menschen."

Dass der Glaube für die Gäste des Gubbio eine große Rolle spielt, erlebt Pastoralreferent Burtscher nicht als Einzelfall. Im Gegenteil. Bei den einmal wöchentlich angebotenen Bibelgesprächen, aber auch den monatlich stattfindenden Gottesdiensten mit Weihbischof Puff würden viele Wohnungslose aus ihrem Alltag, dem Leben auf der Straße, erzählen, von Erinnerungen in Kindheit und Jugend und davon, was sie trage. "Da ist der Glaube eine große Ressource", stellt der Theologe fest. Schließlich habe ja jeder auch so etwas wie einen Traum, eine Hoffnung und eine Vorstellung vom eigenen Leben. Aber auch für ihn selbst sei das Gubbio ein berührender Ort: "Hier gehöre ich als Mensch und Christ hin. Mein Herz hängt an den Begegnungen mit diesen Menschen. Es ist ein Miteinander- und Voneinander-Glauben-Lernen. Im Gubbio kommen wir jede Woche als Gemeinde zusammen; hier wird konkret gelebt, was Jesus uns aufgetragen hat."

Immer wieder sei er erstaunt, führt er später in einem geistlichen Impuls aus, wie schnell es hier gelinge, Heimat zu finden. Burtscher nennt als Gründe dafür gleich ein "doppeltes Fundament": das gute Miteinander und den Versuch, die Botschaft Jesu Wirklichkeit werden zu lassen und so – mit dem Beistand des Heiligen Geistes, aber auch dank dem Einsatz vieler tatkräftiger Mitstreiterinnen und Mitstreiter – das Gubbio zu einem einladenden Ort zu machen. "Jesus holt Menschen von den Rändern in die Mitte und lädt uns ein, seinem Beispiel zu folgen." Und Thomas Quast, der Keyboarder von Ruhama, ergänzt: "Seit 40 Jahren singen wir Lieder der Barmherzigkeit, die hier wunderbar hinpassen. Denn das Gubbio ist ein authentischer Ort gelebter Barmherzigkeit."

Wie sehr dieser kirchliche Obdachlosen-Treff in den letzten 20 Jahren gewachsen und für immer mehr Menschen zu einem Zuhause geworden sei, bestätigt auch Wohnungslosenseelsorgerin Schwester Christina, die seit 2019 das Gubbio leitet. Nicht nur, dass aus der einst eisig kalten Kirche inzwischen ein im Winter durchgängig geheizter Raum geworden sei und es längst viele fruchtbare Vernetzungen mit anderen Trägern – dem Erzbistum, dem Stadtdekanat und der Stadt – gebe, auch die Interessengemeinschaft Bestattung obdachloser Menschen sei mittlerweile mit zwei Gräberfelder auf dem Südfriedhof ausgebaut worden. Zudem erinnert die 63-Jährige in einem Rückblick an die Einladung von Wohnungslosen zu Exerzitien-Tagen und als Highlight an die von Papst Franziskus 2016 nach Rom, aber auch an den tragischen Tod von ihrer Vorgängerin Schwester Franziska und den Weggang von Bruder Markus, die zu einem entscheidenden Umbruch im Gubbio geführt hätten.

Schwester Christina Klein

"Besonders faszinierend ist, welch große Rolle der Glaube als Fundament und Quelle der Hoffnung im Leben vieler unserer Gäste spielt."

Doch allen Widerständen zum Trotz – in 20 Jahren ist die Zahl der Wohnungslosen immer mehr angestiegen – sei heute diese Kirche, so Schwester Christina, "ein Ort des Gebets, des Teilens von Freud und Leid und des Zusammenseins". Auch die Menschen, die sich hier als Ehrenamtliche mit Herzblut engagierten, würden immer mehr, verbucht sie positiv. "Was das Gubbio ausmacht, ist, dass hier Glaube miteinander geteilt wird." Mitzuerleben, mit welcher Offenheit und Aufrichtigkeit der Frage nachgegangen werde, was die Texte des Evangeliums mit dem Alltag und der Lebensrealität des Einzelnen zu tun hätten und mit welcher innerlichen Aufmerksamkeit über die Geheimnisse des Glaubens nachgedacht werde, sei immer wieder bewegend. "Besonders faszinierend ist", betont die Franziskanerin, "welch große Rolle der Glaube als Fundament und Quelle der Hoffnung im Leben vieler unserer Gäste spielt."

Quelle:
DR