Als Quotenfrau versteht sie sich nicht, als "Role Model" für Mädchen und junge Frauen schon eher. Seit November ist Judith Kunz Präsidentin des Allgemeinen Cäcilienverbands für Deutschland e.V. (ACV). Dass der Bundesverband für katholische Kirchenmusik jetzt zum ersten Mal in seiner über 150-jährigen Geschichte von einer Frau geführt wird, wertet Kunz, die hauptberuflich Domchordirektorin in Limburg ist, als "richtiges und gutes Zeichen".
Revolutionär sei es aber nicht, schließlich bekleideten Frauen wie Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, oder Beate Gilles, die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, bereits wichtige Positionen in der Kirche. Die 41-jährige Mutter eines Sohnes möchte nicht an ihrem Frausein gemessen werden, sondern an ihrer inhaltlichen Arbeit.
Zu tun gibt es jedenfalls viel, schließlich geht es um nicht weniger als die Zukunft der Kirchenmusik in Deutschland. Die steht nicht erst seit Corona vor großen Herausforderungen. "Wenn sich Gemeinden neu strukturieren, betrifft das ja immer auch die kirchenmusikalische Arbeit", so Judith Kunz. Berufe wie Organistin oder Chorleiter, sagt sie, müssten dringend attraktiv gehalten werden. "Denn auch wir steuern auf einen Fachkräftemangel zu." Noch gebe es zwar genug Hauptamtliche, "aber die Stärkung des Nebenamtes wird ein großes Thema sein."
Folgen der Pandemie
Während der Pandemie, das ist auch Judith Kunz‘ Erfahrung, haben viele Kirchenchöre Mitglieder verloren, vor allem ältere Sängerinnen und Sänger. Dadurch, dass keine Werbetouren durch Kindergärten und Schulen stattfinden konnten, seien aber auch im Nachwuchsbereich Lücken entstanden. Und auch hier sieht die neue Präsidentin ihren Verband in der Pflicht: Kinder-, Jugend- und Erwachsenenchöre zu motivieren und ihnen Wege zum Neustart zu weisen – nach dem Höhepunkt der Pandemie und trotz sich abzeichnender Energiekrise.
Auch die anhaltende Vertrauenskrise, die die katholische Kirche in Deutschland seit Jahren beschäftigt, hat in Kunz‘ Augen Rückkoppelungen auf die Arbeit der Kirchenmusik. Zum einen mache es der Vertrauensverlust schwerer, Mädchen und Jungen für kirchliche Kinderchöre zu gewinnen. Andererseits seien Eltern heute deutlich kritischer als noch vor einigen Jahren, erzählt die passionierte Kirchenmusikerin. "Wir kommen viel mehr mit den Chorsängerinnen und -sängern selbst, aber auch mit Vätern und Müttern ins Gespräch darüber, was diese Kirche ist und wo sie hingeht." In diesem Sinn versteht sie die Kirchenmusik auch als Vermittlerin. welche auch dort noch auf offen Ohren treffen kann, wo Worte nicht mehr ankommen."
Familie, Beruf und ehrenamtliche Verpflichtung
Judith Kunz selbst hat als Tochter einer Kirchenchorsängerin eine "klassische Kirchenmusik-Karriere" hinter sich: vom Kinder- über den Jugend- bis hin zum Erwachsenenchor. Früh hat sie gemerkt, welche Freude ihr das Singen bereitet, welche Kraft ihr die Musik schenkt: "Singen ist alles für mich, Singen berührt die Seele". Noch während der Schulzeit jobbte sie als Organistin und wusste bald, dass sie die Kirchenmusik auch zum Beruf machen wollte. Nach dem Studium in Köln wurde sie erst Domkantorin in Würzburg und schließlich Domchordirektorin in Limburg. In dieses Amt wird sie nach der Elternzeit nächstes Jahr zurückkehren; dass sie sich jetzt zur Wahl als ACV-Präsidentin gestellt hat, hat auch damit zu tun, dass mit ihr nicht nur ein starkes Team zur Wahl stand, sondern ihr neuerdings mit Dr. Joachim Werz ein hauptberuflicher Generalsekretär zur Seite steht. Das entlaste das Ehrenamt deutlich, sagt Judith Kunz, mache es überschaubar und damit gerade auch für Frauen attraktiver, die irgendwie den Spagat zwischen Familie, Beruf und ehrenamtlicher Verpflichtung hinbekommen müssten.
Kunz, die außerdem noch Präsidentin des Deutschen Chorverbandes Pueri Cantores e. V. ist, engagiert sich deshalb so sehr für die Belange der Kirchenmusik, weil sie von deren Strahlkraft überzeugt ist – über den kirchlichen Kontext hinaus. Ihr geht es aber nicht nur darum, die Bedeutung der Kirchenmusik als kulturelles Erbe in der Gesellschaft wachzuhalten. "Ich glaube, dass wir mit der Kirchenmusik auch Menschen erreichen können, die eben sonntags nicht mehr in den Gottesdienst gehen." Denn selbst wenn die meisten beim Stichwort Kirchenmusik noch immer als erstes an die Gestaltung von Gottesdiensten dächten, sei diese doch weit "mehr als die Dienerin der Liturgie". Kirchenmusikalische Konzerte, so das Credo der neuen ACV-Präsidentin, bringen Leute auch in Kontakt mit Spiritualität. "Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen in einem geistlichen Konzert mehr als nur das musikalische Erlebnis suchen." Viele seien doch auf der Suche nach genau diesem Mehrwert. "Und mit der universellen Sprache der Musik erreichen wir sie."