Jüdisches Zentralarchiv weiht in Heidelberg neue Räume ein

Querschnitt jüdischen Lebens in Deutschland

Das Jüdisches Zentralarchiv in Heidelberg feiert ihren Umzug in die neuen Räume im Gebäude der Hochschule für Jüdische Studien, mitten in der Heidelberger Altstadt. Die vom Zentralrat der Juden getragene Institution liefert seit 1987 einen Querschnitt jüdischen Lebens in Deutschland.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Der Inhalt der schlichten Lagerräume mit den vollgepackten Stahlregalen entscheidet mit darüber, was künftige Generationen vom jüdischen Leben in Deutschland wissen. Unterlagen zum Bau einer neuen Synagoge, Tausende Fotos jüdischer Grabsteine oder meterweise Akten zur Walser-Bubis-Debatte: "Wir stehen vor der schier unmöglichen Aufgabe, einen umfassenden und aussagekräftigen Querschnitt des jüdischen Lebens in Deutschland zu dokumentieren", sagt Peter Honigmann, Leiter des "Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland".



Die Geschichte des öffentlich kaum bekannten Archivs begann 1987. Nach Verwirrungen um einen Auftritt des damaligen Kanzlers Helmut Kohl auf einem Soldatenfriedhof, auf dem auch SS-Mitglieder bestattet waren, erhielt der Zentralrat die Zusage der Bundesregierung, die Einrichtung eines zentralen jüdischen Archivs zu fördern und dauerhaft zu finanzieren.



Bund fördert

Seitdem fördert der Bund die Erinnerungsarbeit jährlich mit rund 300.000 Euro. Ein Kilometer Akten - das entspricht rund 10.000 Leitzordnern - sind seit 1987 zusammengekommen; und jährlich werden es zwei Kleinlastwagenlieferungen mehr. "Wir können das neue Material nicht so schnell erschließen und verzeichnen, wie wir neue Akten bekommen", sagt Honigmann, der deshalb auf eine Verstärkung des Archivteams hofft, das aus vier Personen besteht.



Voraussetzung für ein Funktionieren des Archivs ist die Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik. Unter dem Dach des Zentralrats sind rund 100 Gemeinden mit etwa 105.000 Mitgliedern organisiert. Eine rechtliche Handhabe, eine Pflicht zur Aktenüberstellung, wie es im staatlichen Archivwesen üblich ist, gibt es für die Gemeinden nicht. Daher seien viele Einzelgespräche und oft viel Überredungskunst gefragt, um die Dokumente und Papiere ins Archiv zu holen und sie damit dauerhaft zu sichern, heißt es im Archiv. Die Verhandlungen mit der jüdischen Gemeinde Erfurt dauern schon mehr als 14 Jahre.



Größtmögliche Datenschutz

Dabei garantiert das Zentralarchiv größtmöglichen Datenschutz. "Wir geben kein Blatt zur Ansicht heraus, wenn die jeweiligen Gemeinden der Anfrage des Interessenten nicht zustimmen", so Honigmann. Jährlich gibt es rund 200 Anfragen, die meisten von Historikern. Ab und an geht es auch um verwaltungstechnische Probleme, etwa wenn ein in die USA ausgewanderter Jude seine deutschen Rentenansprüche nachweisen will, die er sich nach 1945 in Deutschland erarbeitet hat.



Der dramatische Bruch jüdischen Lebens in Deutschland, die Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus, wird auch im Archiv deutlich. Denn mit wenigen Ausnahmen hat das Archiv keine Bestände aus der Vorkriegszeit. Die Vorläufereinrichtung, das 1905 in Berlin gegründete "Gesamtarchiv der deutschen Juden" wurde 1939 aufgelöst, Teile der damaligen Bestände, welche die Nazis für ihre rassenkundlichen Gutachten missbrauchten, blieben nur in Kopie erhalten. Andere Teile gelangten auf Umwegen nach dem Krieg nach Israel oder landeten im zu DDR-Zeiten gegründeten Centrum Judaicum in Ostberlin.



Herausforderung Internet

"Wir haben kein Interesse, diese Dinge zurückzuholen, das würde auch gar keinen Sinn machen. Viel wichtiger ist, dass es eine gute Erfassung der Bestände gibt, damit Forscher wissen, wo sie was suchen können", sagt Honigmann. Und verweist etwa auf ein mit deutschen Geldern gefördertes Verzeichnungsprojekt des Jerusalemer "Central Archive for the History of the Jewish People".



Ein weiteres Problem beschäftigt die jüdischen Archivare, das sie auch durch den Umzug nicht lösen konnten: Immer mehr jüdisches Leben findet auch im Internet statt. "Postalische Rundschreiben zu archivieren, ist leicht. Wie aber dokumentieren Sie E-Mails oder Internetseiten von jüdischen Studentenverbänden und wie die jüdischen Aktivitäten in Facebook?", fragt der Archivleiter.