Der Zustrom von Flüchtlingen aus Kamerun reißt nicht ab, im Gegenteil. Immer mehr Menschen suchten mittlerweile in Nigeria Schutz, sagt Remigius Ihyula, der Leiter des Caritas-Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC) der Diözese Makurdi. "In den vergangenen Wochen haben wir mehr als 100 neue Personen registriert", so der Priester. Mittlerweile haben 35.000 Kameruner Asyl beantragt. Grund ist die zunehmende Gewalt in ihrer Heimat.
Augenzeugen aus der Region berichten, dass sich aktuell vor allem Regierungstruppen von Präsident Paul Biya und Separatisten - die sogenannten Amba-Boys - Kämpfe liefern. Letztere sind auch für zahlreiche Entführungen verantwortlich. Mitte Februar kidnappten sie 170 Schüler der katholischen Schule in Kumbo, vier Wochen später die Fußballmannschaft der Universität von Buea. Allerdings dürften sich unter die Separatisten auch Trittbrettfahrer mischen, die von der unübersichtlichen Situation profitieren und Überfälle verüben.
Bericht: 170 Zivilisten getötet
Laut einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch wurden seit Oktober mindestens 170 Zivilisten getötet. Man habe mehr als 220 Gewalttaten verzeichnet. Konkrete Zahlen zu erheben, sei jedoch fast unmöglich. Viele entlegene Gebiete sind nicht zugänglich.
Dass die Flüchtlingszahlen weiterhin hoch sind, bestätigte am Dienstag das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR): Demnach seien 437.000 Menschen innerhalb Kameruns auf der Flucht, die meisten davon in der Region Südwest. UNHCR-Sprecher Babar Baloch sprach von 184 Millionen US-Dollar, die für die Versorgung der Menschen notwendig seien, davon 35,4 Millionen US-Dollar für lebensrettende Sofortmaßnahmen. Vor allem fehle es an Notunterkünften. Die wenigen, die es gibt, seien überfüllt. Auch reichten sanitäre und medizinische Angebote bei weitem nicht aus. Besonders riskant sei die Situation für Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderung. Neben der Zerstörung von Häusern komme es zu Folter, Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch.
Hinweise der Bischöfe
Auf die alarmierende Situation hingewiesen hatten Mitte März bereits die katholischen Bischöfe in Bamenda. Erzbischof Cornelius Fontem Esua und Weihbischof Michael Miabesue Bibin schreiben in ihrem Fastenhirtenbrief, es gebe seit der Eskalation am 21. November 2016 immer weniger Respekt für das Leben und die Würde des Menschen. Gewalt sei alltäglich geworden und habe eine unvorstellbare Dimension erreicht. "Fast täglich hören wir Schüsse in verschiedenen Vierteln von Städten und Dörfern, die als 'Popcorn' bezeichnet werden." Weiter schreiben sie, verwundete Personen würden mitunter nicht medizinisch versorgt. Stattdessen werde das "Blutvergießen gefeiert". Auch kritisieren sie scharf, dass Leichen nicht begraben, sondern in Flüsse geworfen würden.
Die Bischöfe fordern die Separatisten auf, ihre Waffen niederzulegen und in einem Dialog eine Lösung für das "anglophone Problem" zu finden. Ebenso verlangen sie vom Militär, unschuldige Zivilisten nicht länger zu töten oder ihre Häuser niederzubrennen. Das fordert auch Lewis Mudge, Human Rights Watch-Direktor für Zentralafrika: "Die kamerunischen Behörden sind verpflichtet, Menschen in Zeiten der Gewalt zu schützen. Die Reaktionen der Regierung sind kontraproduktiv und provozieren nur neue Gewalt."
Kamerun und verschiedene Einflüsse
In Kamerun gehören etwa 20 Prozent der gut 25 Millionen Einwohner der anglophonen Minderheit an. Grund dafür ist die historische Entwicklung. Das heutige Kamerun wurde im 19. Jahrhundert deutsche Kolonie. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel "Französisch-Kamerun" Frankreich zu. Die Grenzgebiete zum heutigen Nigeria wurden britisch. Im Zuge der Unabhängigkeit entschied der muslimisch geprägte Norden, der an die heutigen Bundesstaaten Borno und Adamawa grenzt, per Abstimmung zu Nigeria zu gehen. Die beiden südlichen Provinzen gehören seit 1. Oktober 1961 zu Kamerun. Die Bewohner beklagen seit Jahren Benachteiligungen. Die Proteste begannen jedoch im Herbst 2016, als die französische Sprache ins Schulsystem und in die Justiz eingeführt werden sollte.