Eigentlich war er bereits für Dezember geplant und besonders in Kanada mit Spannung erwartet worden: ein Besuch von kanadischen Bischöfen und Indigenen-Vertretern beim Papst im Vatikan.
Aufgrund der Omikron-Variante wurde das Treffen ohne Nennung eines neuen Termins verschoben; die Spitze der Kanadischen Bischofskonferenz reiste allein zu einem Gespräch mit dem Papst. Nun gibt es einen Nachholtermin: In der Woche vom 28. März bis 1. April empfängt Franziskus Angehörige der First Nations, der Inuit und der Metis.
Skandale an Resindential Schools
Hintergrund des Treffens sind die in den vergangenen Jahren zutage getretenen Skandale um Misshandlungen, Missbrauch und katastrophale Zustände in früheren kirchlichen Schulen und Erziehungseinrichtungen für Kinder indigener Familien. An den sogenannten Residential Schools sollten indigene Mädchen und Jungen unterrichtet und an die Gesellschaft und Kultur der europäischen Einwanderer angepasst werden. Betreiber waren meist die Kirchen, das Geld kam vom Staat.
Seit Mai 2021 wurden an ehemaligen Internaten sterbliche Überreste von mehr als 1.000 Kindern entdeckt. Den Anfang machten Funde an der früheren Indian Residential School von Kamloops; es folgten weitere an der ehemaligen Marieval Indian School in Saskatchewan, der Saint Eugene's Mission School bei Cranbrook und einer ehemaligen Schule auf der Penelakut-Insel westlich von Vancouver.
Die Überreste belegen die ärmlichen Lebensbedingungen in vielen Heimen. Bislang ist der Tod von mindestens 3.200 Kindern nachweisbar; Experten gehen von mehr als 6.000 aus. Todesursache waren häufig Krankheiten wie Tuberkulose, Masern und Grippe. Schon 1906 hatte der Arzt Peter Henderson Bryce in einem Bericht für das "Amt für Indianerangelegenheiten" von schockierenden Todesraten gesprochen. An Schulen im Westen Kanadas soll demnach im Schnitt jeder vierte Schüler gestorben sein. Überlebende berichten, sie seien Gewalt, Erniedrigung und sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen.
Die Funde sorgten in Kanada und insbesondere unter den Indigenen für Entsetzen. Mehrere katholische Kirchen in indigenen Gebieten gingen in Flammen auf; die Feuerwehr vermutete Brandstiftung. "Lasst es uns als das bezeichnen, was es ist: ein Massenmord an indigenen Menschen", sagte der Häuptling der indigenen Gemeinschaft Lower Kootenay dem Sender CBC im Sommer.
Reaktion der Kirche in Kanada blieb zunächst aus
Eine Reaktion der Kirche in Kanada blieb zunächst aus. Die Bischöfe warteten ab, wollten alle Fakten geklärt wissen. Dabei hatten schon Mitte der 80er Jahre ehemalige Schüler erstmals Entschädigungsklagen eingereicht. Nach einer Sammelklage 2006, mit der Überlebende der Schulen 50 kirchliche Rechtsträger vor Gericht brachten, hätte die Kirche 25 Millionen Dollar zahlen müssen. Nach Angaben der Juristin Mary Ellen Turpel-Lafond, Leiterin des Dialogzentrums für die Geschichte der Residential Schools an der Universität in Vancouver, konnten sich die Kirchenvertreter aber weitgehend von dieser Verpflichtung befreien und zahlten nur vier Millionen.
Erst Ende September entschuldigte sich die Kanadische Bischofskonferenz umfassend für das Leid, das durch die Beteiligung der Kirche am früheren Internatssystem verursacht wurde. "Wir erkennen den schweren Missbrauch an, der von einigen Mitgliedern unserer katholischen Gemeinde begangen wurde: physisch, psychologisch, emotional, spirituell, kulturell und sexuell", hieß es damals.
In der vergangenen Woche kündigten die Bischöfe zudem die Schaffung eines "Fonds für Indigene Versöhnung" an, in den die 73 kanadischen Diözesen einzahlen wollen. Mindestens 30 Millionen Dollar sollen künftig für "Heilungs- und Versöhnungsinitiativen" zur Verfügung stehen. Verwaltet wird der Fonds von einer eigens gegründeten Wohltätigkeitsorganisation. Die Bischöfe seien "fest entschlossen, das historische und andauernde Trauma zu bewältigen, das durch das Internatssystem verursacht wurde", betonte der Bischofskonferenzvorsitzende Raymond Poisson.
2021 hatten die Bischöfe erklärt, sich für einen Papstbesuch im Land einzusetzen. Viele Indigene erwarten eine Entschuldigung des Papstes auf kanadischem Boden - eine Forderung, die schon seit 2015 im Raum steht. Damals hatte die im Zuge einer Vereinbarung von Kanadas Regierung und den indigenen Völkern geschaffene Wahrheits- und Versöhnungskommission ihren Abschlussbericht vorgelegt, nachdem sie von 2009 bis 2015 Berichte von rund 7.000 ehemaligen Schülern gesammelt hatte. Er dokumentiert, wie das Leid der Schüler und die oft gewaltsame Unterdrückung ihrer Wurzeln über Jahrzehnte ignoriert wurde; die Rede ist von "kulturellem Völkermord".
Ende Oktober signalisierte Franziskus als Reaktion auf eine Einladung der Bischofskonferenz seine grundsätzliche Bereitschaft, "zu gegebener Zeit" nach Kanada zu reisen. Konkrete Pläne gibt es bislang aber noch nicht. Für den Moment liegen somit alle Hoffnungen auf dem nun angesetzten Treffen. Auch ohne kanadischen Boden unter den Füßen - Kanadas Indigene erwarten vom Papst eine Entschuldigung.