Kapuziner weisen Betrugs-These um Pater Pio zurück

Italiens Nationalheiliger ein Scharlatan?

Der Kapuzinerorden hat Behauptungen eines italienischen Historikers zurückgewiesen, der wegen seiner Wundmale berühmte Pater Pio habe sich die Verletzungen mit einer Säure selbst zugefügt. Der 2002 heiliggesprochene Ordensmann sei in seinem Konvent auch für medizinische Dienste zuständig gewesen und habe das hochgiftige und ätzende Phenol zur Desinfektion von Spritzen benutzt. Ein neues Buch über Italiens populärsten Heiliger des 20. Jahrhunderts sorgt in seiner Heimat für Unruhe.

 (DR)

Der Sprecher der Kapuzinerprovinz Foggia, Antonio Belpiede, erklärte in einem Interview der italienischen Tageszeitung "Il Giornale", das Mittel, das Anfang des 20. Jahrhunderts in der Medizin allgemein gebräuchlich war, könne überdies nur Verbrennungen auf der Haut hervorrufen, nicht aber derart durchdringende Wunden verursachen, wie sie an den Händen Pater Pios zu sehen gewesen seien.

Der in Turin lehrende Historiker Sergio Luzzatto äußert in seinem Buch "Pater Pio. Wunder und Politik im Italien des 20. Jahrhunderts" Zweifel an der Echtheit der Stigmata und stellt den italienischen Volksheiligen als auch innerkirchlich umstrittene Figur dar. Der Band erscheint diese Woche in Italien.

Belpiede: Stigmata früher als Phenol-Käufe
Der Sprecher des Kapuzinerordens hielt der Darstellung Luzzattos in dem Interview weiter entgegen, die Phenol-Käufe von Pater Pio seien erst neun Jahre nach dem ersten Erscheinen der Wundmale 1910 belegt. Im Juli 1919 habe ein Arzt versiegelte Verbände an den Händen des Kapuziners angelegt; nach einer Woche seien die Verletzungen jedoch weder verkrustet noch vereitert, sondern offen und blutend gewesen. Außerdem habe man die mysteriöse Erscheinung im Zuge des Heiligsprechungsverfahrens genau untersucht, so Belpiede.

Er äußerte sich zugleich zu dem Betäubungsgift Alkaloid Veratrin, das sich Pater Pio heimlich besorgt haben soll. Damit habe der Kapuziner seine Stigmata desinfiziert. Anfangs habe sich Pater Pio seiner Wunden geschämt und sie verbergen wollen. Dies gehe aus Zeugenberichten und Briefen hervor, sagte der Ordenssprecher im "Giornale".

Wer war Pater Pio?
Der Kapuzinerpater Pio ist Italiens populärster Heiliger des 20. Jahrhunderts. Am 25. Mai 1887 in Pietrelcina bei Benevent geboren, trat er 1904 in den Kapuzinerorden ein und nahm den Namen Pio an. Bereits als 15-Jähriger berichtete er über erste Visionen. 1918 bildeten sich auf seinem Körper die Wundmale Jesu (Stigmata). Von 1916 bis zu seinem Tod 1968 lebte Pater Pio im Kapuzinerkonvent von San Giovanni Rotondo in Apulien.

Wegen der Stigmata sowie zahlreicher Heilungswunder und Bekehrungen wurde er weltweit bekannt. Enormen Zulauf hatte er auch als Beichtvater. 1940 regte er den Bau einer mit Spendengeldern finanzierten Klinik in San Giovanni Rotondo an, die 1956 eröffnet wurde.

Vatikan gespalten
Nach Denunziationen durch örtliche Kleriker, die ihn für einen Scharlatan hielten, ging der Vatikan zwei Mal gegen Pater Pio vor. Dadurch wurde dessen Popularität jedoch nur noch gesteigert. 1922 verbot ihm der Vatikan öffentliche Auftritte und Gottesdienste. Das Verbot wurde 1933 teilweise aufgehoben und dann nach und nach gemildert. Nach einem Skandal um Spendengelder verbot der Vatikan Pater Pio im Jahr 1961 jeglichen privaten Umgang mit den Gläubigen, die von ihm gegründete Klinik übernahm der Heilige Stuhl. Die Gläubigen strömten dennoch weiter zu Hunderttausenden zu seinen Messen und in seinen Beichtstuhl.

Papst Johannes Paul II. hatte lange vor seiner Papstwahl mehrmals Kontakt mit Pater Pio. 1947 beichtete er bei ihm, 1962 bat er ihn schriftlich um Fürsprache für eine an Krebs erkrankte Polin, die kurz darauf geheilt wurde. Am 2. Mai 1999 sprach Johannes Paul II. Pater Pio selig. Die Heiligsprechung fand am 16.6.2002 statt.