Kardinal Lehmann - auch als Bischof "überdiözesan engagiert"

"Wohler und freier"

Er sei, sagt Kardinal Karl Lehmann, "etwas freier, Einladungen oder Verpflichtungen anzunehmen oder abzulehnen". Freier als während der gut 20 Jahre als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Seit vier Monaten hat der 72-Jährige nicht mehr den Vorsitz des Episkopats inne, nun ist er einfacher Ortsbischof, Bischof von Mainz. "Ich fühle mich wohler, freier", sagt er noch einmal. Es gehe ihm eigentlich "ganz gut". Dabei gab es in dieser Woche ein Erschrecken. Am Dienstag erlitt er während eines Gottesdienstes im Mainzer Dom eine Kreislaufschwäche. Einen Tag später kehrte er an den Schreibtisch zurück.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Seit Mitte Februar hat die Bischofskonferenz in ihren Reihen einen Ex-Vorsitzenden - erstmals überhaupt. Mitte Januar hatte Lehmann seinen Rücktritt angekündigt, vier Wochen später ging der Vorsitz an den Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch. Den engen Draht zu seinem Nachfolger, den er schätzt, sucht er von sich aus nicht. Er wollte bewusst den Platz frei machen. Jeder Vorsitzende muss seinen Stil finden. Als zum Beginn des Abschlussgottesdienstes beim Katholikentag der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans-Joachim Meyer, Lehmann grüßte und Beifall aufkam, war dieser längst wieder in Mainz.

Bei den Auftritten Lehmanns zu Anfang des Jahres, auch beim Stabwechsel, war ihm die angeschlagene körperliche Befindlichkeit anzusehen. Herz-Rhythmus-Störungen hatten ihn im Dezember plötzlich ins Krankenhaus gezwungen, «eine lebensbedrohliche Krankheit, die mir nicht mehr diese rücksichtlose Ausschöpfung meiner Kräfte erlaubt», wie er sagt. Seit März ist der Kardinal wieder präsent.

Hat gekurt und abgenommen. Auch das Knie, das seit langem Probleme und Schmerzen bereitete, macht weniger Sorgen. Doch die jüngste gesundheitliche Komplikation macht deutlich, dass der Körper den Ende der Woche beginnenden Sommerurlaub gut gebrauchen kann.

Lehmann ist erkennbar schlanker, wirkt manchmal etwas nachdenklicher, ist aber der Alte. Berlin, Rom, Konstantinopel, München, Heidelberg, Karlsruhe - allein der Juni-Kalender lässt erkennen, dass ein weltweit geschätzter Kardinal und Theologe auch ohne das Amt des Episkopats-Vorsitzenden ein herausgehobener Bischof bleibt. Mal geht es um Palliativmedizin, mal um das
Staat-Kirche-Verhältnis oder den Schutz des Sonntages. Oft sind es langfristige Zusagen, die der Kardinal erfüllen will. Ab Herbst will er solche Reisen reduzieren. Aber viele der anstehenden Verpflichtungen gelten dem Kardinal oder dem Menschen Lehmann. In Rom, heißt es, tauchte er in den vergangenen Monaten seltener auf.

Am 23. Juni 1983, vor gut 25 Jahren, ernannte Papst Johannes Paul II. Lehmann zum Bischof von Mainz. Keine vier Jahre später folgte er Kardinal Josef Höffner im Amt des Vorsitzenden. Nun bekommt die Diözese ihren Bischof ein Stück zurück. Und allmählich werden die Postkisten leichter, die der Bote täglich ins Bischofshaus bringt.

Dabei will Lehmann überdiözesan engagiert bleiben. An den Spitzengesprächen der Bischöfe mit CDU, SPD und Grünen nahm er teil. Er ist in der Gemeinsamen Konferenz von Bischöfen und ZdK und im katholisch-evangelischen Kontaktgesprächskreis engagiert. Und ist Vorsitzender der wichtigen Glaubenskommission der Konferenz. Und bei manchen Debatten der Bischöfe, etwa das Engagement im Fernsehbereich oder Fragen der  seelsorgerlichen Neuordnung, will er sich nun pointierter zu Wort melden, wo er bislang eher moderierte und moderieren musste. Lehmann kann und muss nicht nur bei Terminen freier entscheiden, er kann auch bei Themen Akzente setzen. Sein Vortrag beim Katholikentag machte deutlich, wie sehr er sich die Ökumene zur Aufgabe macht. «Ich möchte für die ökumenische Situation
nach beiden Seiten etwas tun», erzählt er. Dabei gebe es zum weiteren Weg beharrlicher Aufarbeitung der Kontroversen «keine Alternative». Nicht gedeckte Schecks seien in der Ökumene gefährlich, das gelte für Katholiken und Protestanten. «Es müssen Entscheidungen fallen, auch auf evangelischer Seite.» Als Beispiel nennt er das Amtsverständnis, wo es heute um Differenzen gehe, die - wenigstens zum Teil - eigentlich schon aufgearbeitet seien.

Dazu passt, dass der Dogmatiker Lehmann seit zwei Jahren dem vatikanischen Einheitsrat angehört. Seit' an Seit' mit dem langjährigen Weggefährten Walter Kasper, der dem Gremium vorsteht. «Das macht mir noch Spaß», sagt der Kardinal. Schließlich gehört er seit 1969 dem Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen an und steht dem Gremium seit 1988 vor, das bald ein wichtiges Dokument zur «Apostolischen Sukzession» veröffentlichen will. Für die deutschen Theologen bleibt die Ökumene eine Lebensaufgabe. In Osnabrück kam Lehmann, der vom nach wie vor brennenden ökumenischen Feuer spricht, bezüglich der Einheit der Kirchen nicht zum ersten Mal auf das biblische Bild des Moses, der dem gelobten Land entgegenwandert, es aber nicht mehr selbst betritt. Moses sei «eine ganz wichtige Gestalt der Hoffnung», betont
Lehmann im Gespräch und spricht dann wieder von der Ökumene: «Wir
arbeiten daran, so lange es geht.»

Gleich für die erste Bundestags-Sitzungswoche nach der Sommerpause
plant der 72-Jährige wieder einen Auftritt in Berlin. Beim traditionellen Michaelsempfang der Bischöfe will er Gedanken zu einer «lebensdienlichen Ethik des Wirtschaftens» vortragen. Eine Abschiedsveranstaltung wird es gewiss nicht sein.