Kardinal Lehmann: Kirche braucht mehr Mut zur Neuevangelisierung

"Gesellschaft braucht Christen"

Mehr Mut bei Glaubensverkündigung und Neuevangelisierung hat der scheidende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, von der katholischen Kirche in Deutschland gefordert. Er warnte am Wochenende in Interviews zugleich davor, dass die Kirche sich in eine Nische zurückzieht. Sie müsse sich auch weiterhin zu gesellschaftspolitischen Fragen äußern. Die Gesellschaft brauche Christen dringender denn je.

Scheidender Vorsitzender: Kardinal Lehmann / © Thomas Lohnes
Scheidender Vorsitzender: Kardinal Lehmann / © Thomas Lohnes

Mit Blick auf seinen Nachfolger an der Spitze der Bischofskonferenz meinte Lehmann, das Amt des Vorsitzenden könne auch ganz anders ausgefüllt werden, als er es seit 1987 getan habe. Beispielsweise könnten auch mehrere Bischöfe stärkere öffentliche Präsenz zeigen.
"Dieses Amt ist viel offener als man denkt", sagte er "Welt.online".
Lehmann war seit 1987 Vorsitzender der Bischofskonferenz. In der kommenden Woche will die Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe in Würzburg einen Nachfolger wählen.

Die Kirche klebe noch zuviel an alten Strukturen, betonte der Mainzer Bischof in einem vorab veröffentlichten Interview mit der in Bonn erscheinenden Wochenzeitung "Rheinischer Merkur". Es gehe um die Erneuerung des pastoralen Denkens. Gegenüber "Welt.online" nannte er als positive Beispiele "niedrigschwellige Angebote", etwa Gottesdienste auch für Nicht-Getaufte oder Anlaufstellen für Menschen, die den Weg zu Glauben und Kirche zurückfinden wollten. Insgesamt sieht der Mainzer Bischof einerseits eine abnehmende Integrationskraft der Kirchen; andererseits aber sei "der Kern der Gemeinde stärker und ausstrahlender geworden".

Mit Blick auf das Verhältnis von Kirche und Politik sagte Lehmann in den Interviews, es gebe heute in allen Parteien Christen; das bringe einer Partei mit dem "C" im Namen Schwierigkeiten. Der Kardinal nahm zugleich CDU und CSU in Schutz; mit dem "C" allein würden sie wohl keine Mehrheiten gewinnen. "Volksparteien brauchen eine differenzierte Strategie", sagte er. Ihnen das "C" zu verbieten, wäre nicht der richtige Weg.

Im Verhältnis zur evangelischen Kirche sieht Lehmann zunehmend Probleme in der "ethischen Praxis". Es gebe zwar viele Gemeinsamkeiten, die auch durch zahlreiche gemeinsame Stellungnahmen publik geworden seien. "Leider ist der erstaunlich solide Grundkonsens über bioethische Probleme, der freilich immer am seidenen Faden hing, in letzter Zeit ins Wanken gekommen", sagte er.
Das gelte besonders für die Stammzelldiskussion und die Patientenverfügung. "Ich hoffe, dass wir manches gemeinsame Terrain wiedergewinnen", so Lehmann.