domradio.de: Aus München heißt es, Marx freue sich darauf, Tacheles zu reden. Aus der CSU heißt es, Marx kann erwarten, eins auf die Mütze zu bekommen. Seehofer und Marx, das sind zwei Alphamännchen, die da in Wildbad-Kreuth aufeinandertreffen. Wird es laut werden, Herr Bierl?
Alois Bierl (Redaktionsleiter des Münchner Kirchenradios): Beide schätzen robuste Begegnungen, würde ich mal sagen. Aber ganz sicher ist es noch nicht, dass sich Ministerpräsident Seehofer und Kardinal Marx heute begegnen. Denn die CSU-Parteizentrale war sich gestern abend nicht ganz sicher, ob der Landesvater heute überhaupt von Beginn an bei der Klausurtagung der Landtagsfraktion dabei ist. Möglicherweise muss er am Vormittag noch andere Termine wahrnehmen. Grundsätzlich treffen sich Seehofer und Marx aber ganz gern, weil sie sich ganz gut verstehen. Da akzeptiert ein Alphatier das andere. In ihren jeweiligen Wirkungskreisen sind sie auch keine Konkurrenten und Seehofer schätzt den Kardinal durchaus auch als unbequemenen Mahner. Das hat er auch bei seiner Festrede zum 60. Geburtstag von Reinhard Marx betont und das klang sehr aufrichtig damals. Also, wenn die beiden heute aufeinandertreffen sollten, wird es ziemlich sicher keinen Knatsch geben, aber wenn die Meinungsunterschiede in der Flüchtlingsfrage deutlich sind.
domradio.de: Schauen wir mal auf die Fakten: Der Knackpunkt ist eine Obergrenze für Flüchtlinge. Die CSU spricht von 200.000 Menschen pro Jahr. Die Kirche will den Begriff Obergrenze erst gar nicht hören. Ein Kompromiss ist da schwierig, oder?
Bierl: Ja, das stimmt. Kardinal Marx hat ja gesagt, dass der Begriff Obergrenze in die Irre führt. Da ist er sich auch mit Kanzlerin Angela Merkel einig, die heute ebenfalls nach Kreuth kommt. Aus seiner Sicht ist eine Obergrenze rechtlich nicht möglich und zielt auch am Problem vorbei. Da kommt die weltkirchliche und europäische Sicht des Kardinals zum tragen, denn: Was geschieht denn dann mit den Flüchtlingen, die nicht mehr nach Deutschland dürfen? Kollabiert dann die Flüchtlingssaufnahme in anderen Ländern? Ist dann eine humanitäre Katastrophe zu befürchten oder nehmen die Flüchtlinge dann noch mehr Gefahren auf sich, nur um das nackte Leben zu retten? Marx sagt auch, man darf selbstverständlich über Begrenzungen nachdenken, aber da eine feste Zahl zu nennen, das hält er Wohl für fahrlässig. Denn niemand weiß, welche Notsituationen in den nächsten Monaten noch bevorstehen, in Syrien, im Irak. Letztlich ist die Politik da auch nicht auf einen Konsens mit den Kirchen angewiesen. Vielleicht sind die Ressourcen für die Flüchtlingshilfe doch größer, als es zur Zeit in der politisch aufgeheizten Debatte erscheint. Allerdings ist der Begriff Obergrenze da. Und Seehofer hat die Zahl 200.000 in den Raum gestellt. Die erscheint dem Kardinal willkürlich zu sein. Und da werden die Meinungen - bei aller gegenseitigen Wertschätzungen - geteilt bleiben.
domradio.de: Jetzt zählt Bayern ja zu den Regionen in Deutschland, die am tiefsten in der Kirche verwurzelt sind. Die CSU hat ja das Christliche im Namen. Wie wichtig ist für die Partei denn der Rückhalt der Kirche?
Bierl: Die CSU weiß um die moralische Bindekraft der Kirche für viele Menschen in Bayern. Das ist ein hohes Gut und das wollen die meisten CSU-Politiker auch nicht verspielen. Natürlich kommt es vor, dass sich der eine oder andere CSU-Landrat auch öffentlichkeitswirksam über die Kirchen beschwert, in der Richtung: Die sollen nicht so moralisch daherreden, sondern mehr Flüchtlingsunterkünfte selbst bereitstellen. Gerade in den Gemeinden arbeiten die Bürgermeister, die Pfarreien und die Caritas meistens aber sehr, sehr gut zusammen, wenn es um die Flüchtlingsbetreuung geht. Der Landshuter Landrat, der vor kurzem einen Bus mit Flüchtlingen vors Berliner Kanzleramt hat bringen lassen, kam übrigens von den Freien Wählern. Das die CSU und die bayerischen Bischöfe einen Dissenz in vielen Asylfragen haben, lässt sich sicher nicht leugnen. Aber beide Seiten sehen eben doch die lange Tradition des guten Staat-Kirche-Verhältnisses in Bayern, das auch stark mit der Regierungspartei verbunden ist. Das will niemand - zumindest auf Dauer - beschädigen. Obwohl eine zunehmende Entkirchllichung auch in der CSU festzustellen ist. Aber als Markus Söder mit giftigen Untertönen die Kirchen angegriffen hat, ist er vom Ministerpräsidenten ins Gebet genommen worden. Da hält er das Verhältnis zu den Kirchen für zu wichtig, um es durch solche Fingerhakeleien beschädigen zu lassen.
domradio.de: Jetzt ist Marx ja nicht der einzige Kirchenvertreter, der Probleme mit Seehofer und der CSU hat. Vor einigen Wochen gab es ein Schreiben von Ordensleuten, die die Flüchtlingspolitik in Bayern kritisiert haben. Wie ist Ihre Einschätzung - ist das "C" in der CSU denn heute noch gerechtfertigt?
Bierl: Die Ordensleute haben zunächst ja die Wortwahl Seehofers in der Flüchtlingspolitik kritisiert. Der Ministerpräsident hat sie persönlich zu einem Gespräch eingeladen und die Ordensoberen hatten dann nach eigener Aussage schon den Eindruck, dass ihnen Seehofer aufmerksam und nachdenklich zugehört hat. Seitdem ist er - so glaube ich - auch vorsichtiger in seiner Wortwahl geworden und hat immer wieder die große Hilfsbereitschaft der Christen für die Flüchtlinge in Bayern gewürdigt. Er als Parteivorsitzender und Ministerpräsident hat aber natürlich auch die politische Stimmung im Land wahrzunehmen und vorhandene Probleme zu lösen. Grundsätzlich gilt aber: Die CSU hat den politischen Katholizismus in ihren historischen Genen und die Partei würde sich ja von ihren Wurzeln abschneiden, wenn sie das "C" im Namen nicht ernst nehmen würde. Und als Volkspartei muss sie natürlich auch die Bedenken in der Flüchtlingsfrage aufnehmen, die ja von vielen Katholiken und evangelischen Christen geteilt werden. Mit dem selben Argument könnte man auch sagen, es wäre unchristlich, die Flüchtlinge einfach ins Land zu lassen, denn dadurch könnte ja auch die Gesellschaft erschüttert werden, die bisher weitgehend Verständnis für die Not der Flüchtlinge hat und auch nach Kräften zu helfen versucht. Insofern besteht wohl kein Grund, dass die CSU das "C" in ihrem Namen in Frage stellen müsste. Und eine Partei, zu deren Klausurtagung selbstverständlich ein ökumenischer Gottesdienst gehört, ist wahrscheinlich nicht ganz unchristlich.
Das Interview führte Tobias Fricke.