Kardinal Marx hält nichts davon, Seelsorge in immer größeren Pfarrverbänden zu organisieren. Die Kirche vor Ort sei von außerordentlicher Bedeutung, betonte der Erzbischof von München und Freising am Wochenende in Ebersberg. "Wir würden viele Chancen vergeben, wenn wir uns von den territorialen Wurzeln zurückziehen."
Nach den Worten des Kardinals geht es um die "Sichtbarkeit vor Ort". Allerdings müsse diese unter den aktuell gegebenen Bedingungen organisiert werden. So werde die Diskussion um die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt, etwa um die "viri probati" (verheiratete, bewährte Männer), weitergehen. Im vergangenen Jahr ist laut Marx ins Priesterseminar der Münchner Erzdiözese lediglich ein neuer Kandidat eingetreten.
Alternative Modelle für Pfarreien
Die Pastoral müsse an den vorhandenen Ressourcen und Charismen ausgerichtet werden, betonte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. "Und da sagen Tausende: Mir ist es wert, mitzuwirken in der Arbeit der Gemeinde." Auf diese Berufungen gelte es den Blick zu richten. Am Montag will der Erzbischof ein Pilotprojekt der Öffentlichkeit vorstellen, mit dem alternative Modelle der Leitung von Pfarreien, auch durch Teams aus haupt- und ehrenamtlichen Laien, erprobt werden sollen.
Oberste Priorität habe für die Arbeit der Kirche nach Einschätzung der deutschen Bischöfe die Evangelisierung, so Marx. Diese sei aber nicht als "Rückeroberung" oder "Rekrutierung für die Kirche" zu verstehen. Evangelisierung bedeute, die ganze Welt, die Kultur der Menschen mit der Figur Jesu von Nazareth in Berührung zu bringen. Verfehlt sei, wenn die Pfarreien nur selbstbezogen die Frage stellten "Was wird aus uns?" Sie müssten vielmehr fragen: "Was wird aus der Welt, aus unserer Stadt, aus unserem Stadtviertel?"
"Sicherheit bedeutet nicht mehr Militär"
Vor dem Hintergrund der Debatte um eine Aufstockung der Rüstungsetats der Nato-Mitgliedsstaaten forderte der Kardinal eine andere Sichtweise. So bedeute Sicherheit nicht mehr Militär, sondern auch die Entwicklungspolitik gehöre zur Sicherheitspolitik dazu.
Ein neues Miteinander für Europa
Der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) rief dazu auf, am "weiterhin hochaktuellen Friedensprojekt Europa" festzuhalten. Christen müssten Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen, "und das ist jetzt über unser Land hinaus ein neues Gemeinwesen, das einmalig ist in der Geschichte, das sich den Prinzipien von Recht, Gerechtigkeit, Menschenwürde verpflichtet weiß". Dieses gelte es zu gestalten.
Allerdings sei in Europa größere Solidarität nötig, betonte Marx. Statt einen "überzogenen kapitalistischen Weg" zu beschreiten, müsse eine zwar wettbewerbsfähige, aber doch soziale Marktwirtschaft auf den Weg gebracht werden. Er sprach sich für ein neues Miteinander in Europa aus, bei dem regionale Besonderheiten und religiöse Prägungen ernst genommen werden müssten. Für die Unterstützung des afrikanischen Kontinents müsse Europa "viel mehr aufbringen", so der Kardinal und fügte hinzu: "Wir werden unseren Wohlstand nicht bewahren, wenn wir ihn nicht teilen." Da könne nur ein gemeinsames Europa eine Antwort geben, wobei Christen das Salz in der Suppe zu sein hätten.
Politische Solidarität erforderlich
Weiter plädierte Marx dafür, die Sozial- und Finanzpolitik der EU-Mitgliedsstaaten stärker zu koordinieren als bisher. Dazu brauche es eine vertiefte politische Union. Mit der Einführung des Euro habe man die politische Union in Gang bringen wollen, dabei "steht ein gemeinsamer Währungsraum eigentlich am Ende eines politischen Prozesses". Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme einer einzelnen Region beträfen letztlich alle, weil damit immer auch die politische Stabilität und Akzeptanz der gesamten EU infrage stünden. "Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien ist auch unser Problem", erinnerte der Erzbischof.