domradio.de dokumentiert die Stellungnahme im Wortlaut:
"Aus gegebenem Anlass habe ich mich mit Fachleuten über die Frage der Verordnung der so genannten „Pille danach“ beraten. Dabei wurde deutlich, dass darunter unterschiedliche Präparate mit unterschiedlichen Wirkprinzipien zu verstehen sind, deren Wirkungen und Nebenwirkungen sich in der wissenschaftlichen Diskussion immer weiter klären. Daraus ergeben sich ethische Konsequenzen.
Wenn nach einer Vergewaltigung ein Präparat, dessen Wirkprinzip die Verhinderung einer Zeugung ist, mit der Absicht eingesetzt wird, die Befruchtung zu verhindern, dann ist dies aus meiner Sicht vertretbar.
Wenn ein Präparat, dessen Wirkprinzip die Nidationshemmung ist, mit der Absicht eingesetzt wird, die Einnistung der bereits befruchteten Eizelle zu verhindern, ist das nach wie vor nicht vertretbar, weil damit der befruchteten Eizelle, der der Schutz der Menschenwürde zukommt, die Lebensgrundlage aktiv entzogen wird. Dass das Abgehen befruchteter Eizellen auch ganz natürlicherweise ohne menschliches Zutun geschieht, berechtigt einen Menschen nicht dazu, diesen natürlichen Vorgang aktiv zu imitieren. Denn die Beendigung eines Menschenlebens durch die Natur nennt man ein Naturereignis. Dessen absichtliche Imitation nennt man Tötung.
Die Ärzte in katholischen Einrichtungen sind aufgefordert, sich rückhaltlos der Not vergewaltigter Frauen anzunehmen und sich dabei unter Berücksichtigung des neusten Stands der medizinischen Wissenschaft in ihrem ärztlichen Handeln an den oben genannten Prinzipien auszurichten. Darüber hinaus ist nichts dagegen einzuwenden, dass sie in diesem Fall auch über Methoden, die nach katholischer Auffassung nicht vertretbar sind, und über deren Zugänglichkeit aufklären, wenn sie dabei, ohne irgendwelchen Druck auszuüben, auf angemessene Weise auch die katholische Position mit Argumenten erläutern. In jedem Fall muss in katholischen Einrichtungen die Hilfe für vergewaltigte Frauen aber natürlich weit über die Erörterung solcher Fragen hinaus gehen.
Köln, 31. Januar 2013
Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln"
Erläuterung der Pressestelle des Erzbistums Köln
PEK (130131) - Die Erklärung des Erzbischofs von Köln berücksichtigt neuere Erkenntnisse bezüglich der so genannten „Pille danach“. Sie betrifft nicht die nach katholischer Auffassung nach wie vor abzulehnende Abtreibungspille Mifepriston (RU 486, „Mifegyne“).
Bisher wurde oft davon ausgegangen, dass die nidationshemmende Wirkung das zentrale Wirkprinzip der Präparate sei, die als „Pille danach“ bezeichnet werden. (Nidationshemmung bedeutet, dass eine bereits befruchtete Eizelle sich nicht in der Gebärmutter einnisten kann.) Das ist offenbar nicht mehr Stand der Wissenschaft. Die Kirche muss aber in ihren Einschätzungen die wissenschaftlichen Erkenntnisse immer berücksichtigen. Dabei gehört es zur Eigenart solcher Erkenntnisse, dass sie nicht selten kontrovers sind. Die Kirche kann dazu nur die moralischen Prinzipien erklären. Der einzelne Arzt einer katholischen Einrichtung muss sich dann unter Voraussetzung dieser Prinzipien gewissenhaft kundig machen und so zu einer verantwortungsvollen Entscheidung kommen.
Bei der Entscheidung muss der Arzt aus eigener wissenschaftlicher Einschätzung abwägen, inwieweit bei einem Präparat eine nidationshemmende Wirkung besteht. Andererseits haben bekanntlich sehr viele Präparate und Verhaltensweisen Nebenwirkungen, die das beginnende menschliche Leben schädigen oder im Extremfall sogar töten können. Solche Effekte sollten selbstverständlich minimiert werden. Ganz ausschließen kann man sie nie. Nach der Lehre Papst Pius XII. sind zum Beispiel Schmerzmittel bei einem Sterbenskranken dann erlaubt, wenn sie zwar mit der Absicht der Schmerzlinderung eingesetzt werden, aber als Nebeneffekt gegebenenfalls eine Verkürzung des Lebens zur Folge haben können.
Die Instruktion „Dignitatis personae“ der Kongregation für die Glaubenslehre vom 8. September 2008 nennt unter den „Interzeptiva“ „die so genannte ,Pille danach‘“, bezieht sich dann aber ausschließlich auf die nidationshemmende Intention, wenn sie vorsichtig formuliert: „Man muss jedoch anmerken, dass bei denen, welche die Einnistung eines möglicherweise empfangenen Embryos verhindern wollen und deshalb solche Mittel wünschen oder verschreiben, im Allgemeinen die Vorsätzlichkeit zur Abtreibung vorhanden ist.“ Die Grundsätze dieser Erklärung bleiben also weiterhin gültig, es muss allerdings offenbar eine Differenzierung bei der „Pille danach“ vorgenommen werden.
Zu betonen ist, dass sich die Erklärung des Erzbischofs von Köln auf die Situation einer Vergewaltigung bezieht und nicht auf die Situation in einer sakramentalen Ehe, die die Enzyklika „Humanae Vitae“ behandelt. Entsprechend hatte auch schon die Glaubenskongregation die Einnahme von Antikonzeptiva durch Ordensschwestern in einer Weltgegend, in der sie Vergewaltigungen fürchten mussten, erlaubt. Es geht beim Thema Vergewaltigung nicht um die Ganzheitlichkeit eines liebenden Aktes, sondern um die Verhinderung einer verbrecherischen Befruchtung.
Erste Reaktionen positiv
Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) begrüßte die «klarstellenden Worte» des Erzbischofs. Steffens nannte Meisners Erklärung ein «wichtiges Signal», um die Versorgung von Frauen in Not in katholischen Krankenhäusern sicherzustellen. Damit beende der Kardinal Verunsicherungen, die in den vergangenen Wochen in seinem Erzbistum aufgetreten seien. In allen Krankenhäusern Nordrhein-Westfalens mit gynäkologischer Abteilung müssten Opfer sexueller Gewalt die Gewissheit haben, selbstbestimmt über die Einnahme einer «Pille danach» entscheiden zu können.
Auch der Katholische Krankenhausverband, die von katholischen Laien getragene Beratungsorganisation Donum Vitae in NRW und die Diözesan-Arbeitsgemeinschaft der katholischen Krankenhäuser im Erzbistum Köln begrüßten die Erklärung Meisners. Dadurch würden «die aufgetretenen Miss- und Fehlverständnisse ausgeräumt», so die Arbeitsgemeinschaft. Im Kölner Fall hatten die diensthabenden Ärzte die Untersuchung verweigert, weil sie arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchteten, wenn sie wie gesetzlich vorgeschrieben über eine mögliche Schwangerschaft und deren Abbruch beraten sowie die «Pille danach» verschreiben.