domradio.de: Was verbindet Sie mit Bischof Müller?
Joachim Kardinal Meisner: Bischof Müller gehört zum Urgestein unserer Kirche damals in der DDR und er war ein so vielseitig begabter Mann und einsetzungsfähig und bereit, dass wir ihn alle immer liebevoll den Mehrzweck-Müller nannten. Der Bischof konnte ihn zu jeder neuen Aufgabe einsetzen und hat es immer mit Verstand und Bravour angepackt. Ich war ihm sehr sehr verbunden. Er gehört zu den Kameraden der ersten Stunde, wo wir noch am Anfang des Aufbaus der Seelsorgsämter etc. standen. Er hat mir noch einen so schönen handschriftlichen Glückwunsch (zum Goldenen Priesterjubiläum am 22.12., Anm. d. Red.) geschrieben, mit einer so festen geraden Schrift. Da dachte ich: Donnerwetter, der hat aber noch Energie. Er wäre so gerne gekommen am 22., aber er fühlte sich schon nicht mehr wohl und schrieb, bei besserem Wetter werden wir uns mal wiedersehen. Das bessere Wetter ist dann wohl schon in himmlischen Jerusalem. Da hoffe ich, dass wir uns wiedersehen.
domradio.de: Sie waren Anfang Juli beim Silbernen Bischofsjubiläum von Bischof Rudolf Müller, wo viele Bischöfe, Priester und Gläubige auch noch einmal hinkamen. War Ihnen da schon bewusst, dass man sich zum letzten Mal sieht?
Joachim Kardinal Meisner: Gar nicht, er machte einen solchen robusten gesundheitlichen Eindruck. Er war immer sehr korpulent, aber ich dachte, das steckt er weg. Aber das ist mir wieder bewusst geworden: Man muss sich anstrengen und man muss sich beeilen, die Menschen zu lieben, die laufen einem weg! Rudi Müller ist jetzt nicht mehr da, dass man ihm die Hand drücken kann.
In der Bischofsgruft der Görlitzer Kathedrale ruht eigentlich die ganze Intelligenz, die führenden Männer aus der ehemaligen großen Diözese Breslau, die dann praktisch als Gutsbesitzer überwechseln mussten in den Schrebergarten Görlitz. Sie haben nicht lamentiert, dass sie die große Diözese verlassen mussten, sondern sie haben dort angepackt und eben in kleineren Dimensionen ein sehr intensives seelsorgliches Wirken geführt.
Als gebürtiger Schlesier fühlte ich mich mit Rudi Müller wirklich immer verbunden, er sprach wie zu Hause und wir haben uns sehr gut verstanden. Die Hoffnung auf das ewige Leben macht mir den Abschied nicht allzu schwer. Leider kann ich bei der Beerdigung nicht dabei sein, die ist am 5. Januar um 11 Uhr und Sie wissen, der 5. Januar ist bei uns schon der Beginn des Dreikönigsfestes, so kann ich körperlich nicht da sein, aber im Gebet. Ich habe heute schon die Heilige Messe für Bischof Rudi Müller gefeiert.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens (domradio.de)
Hintergrund
Bischof em. Rudolf Müller leitete von 1994 bis 2006 das Bistum Görlitz. In dieser Zeit wurde er zu einem wichtigen Verbindungsmann zwischen der Kirche in Deutschland und Polen.
1931 im heute polnischen Teil Schlesiens geboren, fühlte er sich Zeit seines Lebens durch die alte Heimat wesentlich geprägt. «Ein gutes Gemisch aus böhmischem Gemüt und preußischer Ordnung», beschrieb der Kaufmannssohn seine niederschlesischen Wurzeln. Nach Vertreibung und Theologiestudium empfing er im brandenburgischen Neuzelle die Priesterweihe und war bis 1964 Kaplan in Wittichenau, Hoyerswerda und Görlitz. Anschließend leitete er in der Neißestadt das Katechetenseminar, ab 1972 das Seelsorgeamt.
1987 empfing Müller in Görlitz die Bischofsweihe und war bis 1994 Weihbischof in der damaligen Apostolischen Administratur Görlitz. Sie umfasste die ehemals zum Erzbistum Breslau gehörenden Gebiete im südöstlichen Brandenburg sowie in der nordöstlichen Oberlausitz in Sachsen. Im Zuge der Neuordnung der kirchlichen Jurisdiktion in Ostdeutschland wurde sie 1994 zum Bistum erhoben.
Bereits in der Kirche seines Heimatortes Schmottseiffen lernte Müller das Orgelspiel. Mit fünf Orgelpfeifen in seinem Bischofswappen dokumentierte er seine Wertschätzung der Kirchenmusik. Auch das andere Motiv seines Wappens, der Wanderstab der Pilger zum spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela, wurde für ihn zum Programm. Jahrhundertelang war Görlitz eine der Hauptstationen auf der Reiseroute der osteuropäischen Santiago-Pilger und damit eine Brücke zwischen Ost und West.
Der damalige Papst Johannes Paul II. hatte Müller die Mittlerfunktion zu den polnischen Nachbarn persönlich ans Herz gelegt, als er ihn zum Nachfolger von Bischof Bernhard Huhn bestimmte. Seither war Müller regelmäßig mit seinen grenznahen Amtsbrüdern in Kontakt, zudem vertrat er mehrfach die Deutsche Bischofskonferenz in Polen.
Auch in seinem Bistum förderte Müller die Kooperation von Priestern und Laien mit den Christen auf der anderen Seite des Grenzflusses Neiße; am bekanntesten sind bis heute die grenzüberschreitenden gemeinsamen Fronleichnamsprozessionen. Nach seinem altersbedingten Rücktritt vom Bischofsamt vor sechs Jahren engagierte sich Müller weiter in der Seelsorge. Noch wenige Stunden vor seinem Tod stand er am ersten Weihnachtsfeiertag am Altar. Müller verstarb am Ersten Weihnachtstag mit 81 Jahren.