Kardinal Vlk über seinen Ruhestand

"Die Gnade hier besteht darin, an den Wurzeln zu leben"

Der Prager Kardinal Miloslav Vlk hat im April die Amtgeschäfte seiner Erzdiözese an seinen Nachfolger Dominik Duka abgegeben. Derzeit verbringt er einige Monate im Heiligen Land. "Eine Gnade", findet der 78-jährige. Von der bevorstehenden Nahost-Bischofssynode erwartet er viel.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, wie geht es Ihnen, seit Sie Ihren sogenannten Ruhestand angetreten haben?
Vlk: Das alles ist noch zu frisch, um es beurteilen zu können. Ich bin ja hier im Heiligen Land, um Zeit für die Meditation und das Gebet zu haben. Ich möchte die heiligen Orte unseres Glaubens tiefer kennenlernen. Erst nach dieser besonderen Erfahrung und nach der Rückkehr beginnt für mich der Ruhestand.

KNA: Ihr Nachfolger wurde im April als Erzbischof von Prag eingeführt. Ist das Ausscheiden aus einem solch bedeutsamen Amt für Sie leicht gewesen?
Vlk: Ich habe mit 75 Jahren dem Heiligen Vater, wie es üblich ist, meinen Rücktritt angeboten. Die mir dann vom Papst gewährten weiteren drei Jahre waren eine Möglichkeit zur Vorbereitung auf das Ausscheiden - genug, um das Loslassen psychologisch einzuüben.

KNA: Sie sind ein Spätberufener, der erst mit 36 Jahren zum Priester geweiht wurde. Können Sie mit wenigen Worten die Situation der Kirche in der Tschechischen Republik im Jahr 2010 umschreiben?
Vlk: Ich bin kein "spätberufener Priester". Bereits 1943, im Alter von elf Jahren, fühlte ich mich berufen. Der Kommunismus hat mich nur daran gehindert, früher Priester zu werden. Es war mir unmöglich, Kompromisse mit dem kommunistischen Regime einzugehen; und ich hielt mich an die Weisung meines Bischofs - deswegen bin ich nicht sofort in das von Kommunisten gegründete Seminar eingetreten.
Das Regime wollte die Kirche systematisch zerstören: die Einheit der Kirche vernichten, Bischöfe als Garanten der Einheit entfernen, die Kontakte und die Mitarbeit der Laien mit den Priestern auslöschen. Mit einem Wort, das Ziel war die Zerschlagung der "Communio" der Kirche. Dagegen half nur ein langer Erziehungsprozess, etwa durch das theologische Studium von Laien, das früher nicht möglich war. Laien sollten in die Lage versetzt werden, auch verantwortliche Posten zu übernehmen, etwa in Räten für wirtschaftliche und pastorale Fragen.
Leider konnten wir den Religionsunterricht an den staatlichen Schulen nicht durchsetzen. Es gab zu wenige Familien, die ihn forderten, und nicht genug geeignete Lehrer. 40 Jahre Kommunismus haben letztlich die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils blockiert. Ich glaube, dass uns zumindest der Aufbau der Caritas recht gut gelungen ist. Die Rückgabe kirchlichen Eigentums steht noch aus. So dauert die Abhängigkeit der Kirche vom Staat an. Ziel muss ein Konkordat zwischen dem tschechischen Staat und dem Vatikan sein. Erst danach könnten wir von völliger Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche sprechen.

KNA: Welches Signal geht von den jüngsten Parlamentswahlen in Ihrer Heimat aus, bei denen sowohl die Sozialdemokraten als auch die Konservativen kräftige Stimmeinbußen hinnehmen mussten?
Vlk: Das erste Zeichen ist das Bewusstsein, dass die Wahl ein wirkliches Instrument der Änderung der politische Lage sein kann. Es hatte sich nämlich zuletzt die Meinung ausgebreitet, dass es eh vergebens sei, zur Wahl zu gehen. Dieser Pessimismus ist überwunden. Zudem scheinen vor allem die jungen Wähler entschlossen gegen höhere Schulden und für sparsameres Wirtschaften votiert zu haben. Die Versprechungen populistischer Politiker hatten letztlich keine Chance gegen rationale Argumente. Auch der Aggression in der Politik wurde eine Absage erteilt. Es gibt Anzeichen dafür, dass geistliche Werte im öffentlichen Leben wieder mehr respektiert werden. Zugleich scheint eine gewisse Orientierung nach Rechts einzusetzen.

KNA: Nun nach Jerusalem. Im Oktober findet die Bischofssynode für den Nahen Osten statt. Welche Impulse können von diesem Treffen für die Kirche im Heiligen Land ausgehen?
Vlk: Man kann sicher nicht von der politischen Situation im Nahen Osten absehen. Aber man sollte verstärkt über die Einheit der christlichen Konfessionen sprechen, besonders wenn sie an Ort und Stelle im praktischen Leben so hautnah miteinander verwoben sind.

KNA: Sie sind Mitglied der vatikanischen Kongregation für die Ostkirchen. Wann und wie kamen Sie auf den Gedanken, für einige Monate ins Heilige Land zu kommen?
Vlk: Ich habe mich gefragt, wie ich die erste Zeit nach der Übergabe der Erzdiözese Prag am besten nutzen könnte. Und da spürte ich, dass es notwendig ist zu beten, zu meditieren und zu danken. Ich habe mich entschieden, zu den Wurzeln unseres Glaubens ins Heilige Land zu gehen und die Freude aus dem Glauben ohne offizielle Verpflichtungen und Äußerlichkeiten frei und ungestört zu leben.

KNA: Wie erleben Sie die Situation der Christen in Palästina und Israel?
Vlk: Mir gefallen sehr die Vielfalt und der Reichtum der christlichen Traditionen, die ich hier erlebe. Die Christen können sich noch besser gegenseitig kennenlernen. Andererseits besteht eine bleibende Herausforderung und Chance darin, in dieser Vielfalt immer neu die Einheit zu versuchen. Die besondere Gnade hier besteht darin, an den Wurzeln zu leben. Angesichts der im Heiligen Land vertretenen Weltreligionen sehe ich die Herausforderung für uns Christen, dem eigenen Glauben im öffentlichen Leben treu zu bleiben und ihn immer neu zu bekennen. Die Notwendigkeit, den Dialog zu suchen, wird auch zu einer Herausforderung für die gegenseitige Liebe. Sie ist die einzige Möglichkeit, miteinander leben zu können. Gott gebührt die erste Stelle, nicht der Macht oder der Politik.

KNA: Welche heiligen Stätten sind Ihnen bei Ihrem Pilgeraufenthalt in Jerusalem und in Galiläa besonders wichtig?
Vlk: Das ist schwer zu sagen. Vielleicht die Basilika der Auferstehung, die Grabeskirche, dann Bethlehem mit der Geburtskirche und die Stätten Jesu in Galiläa: der See Genezareth etwa und Kapharnaum.

KNA: Gibt es nach Ihrem Eindruck Hoffnung für die Nachfolgerin der Urgemeinde?
Vlk: Jesus selbst hat auf diese Frage geantwortet: "Fürchte dich nicht, kleine Herde!"

Das Gespräch führte Robert Jauch OFM.