Krieg und Frieden sind ein Gegensatzpaar, das sich seit je her unheilvoll durch die Geschichte der Menschheit zieht.
Doch dass Aggression, Bedrohung und Terror seit dem 24. Februar 2022 sowie dem 7. Oktober 2023 näher gerückt sind und maßgeblich Auswirkungen auf ganz Europa haben, letztlich die gesamte Weltordnung nachhaltig aus dem Lot bringen, macht kriegerische Handlungen und die damit verbundenen Urängste des Menschen weniger abstrakt.
Und so geht es bei dem alljährlichen Soldatengottesdienst zum Weltfriedenstag im Kölner Dom auch nicht darum – wie die üblichen Demonstranten vor der Tür in jedem Jahr neu glauben machen wollen – dass die Kirche Waffen und Kriegsgerät segnet, sondern ausschließlich die Menschen, die sich für den Dienst an der Waffe zu Verteidigungszwecken unter Einsatz ihres eigenen Lebens vor andere stellen.
Das sind Fakten, die auch Totenkopftransparente und Megaphon-Appelle nicht konterkarieren können. Denn das haben die letzten zwei Jahre auf schmerzlichste Weise gezeigt: Wer sich dem diktatorischen Feldzug eines Einzelnen nicht entgegenstellt, wird rücksichtslos überrannt bis hin zum Verlust seines Existenzrechts.
Angriffskrieg in der Ukraine und Kämpfe in Nahost allgegenwärtig
Über 1200 Soldatinnen und Soldaten – auch aus dem internationalen Ausland – sowie Angehörige der Bundespolizei sind an diesem Morgen zum Gottesdienst mit Kardinal Woelki eingeladen, doch nicht alle haben wegen des Wintereinbruchs den Weg in den Kölner Dom gefunden.
Und so sind die Reihen diesmal weniger voll besetzt als sonst. Doch die, die sich von den Schneemengen nicht haben aufhalten lassen, sind umso konzentrierter mit dabei und wollen mit ihrer Teilnahme bewusst ein Zeichen setzen – vor allem für die vielen Kameraden, die in diesen Momenten an der Front kämpfen, oder für die Familien, die einen Angehörigen im Krieg verloren haben. Denn natürlich sind der Angriffskrieg auf die Ukraine und die Kämpfe in Nahost allgegenwärtig. So nehmen diesmal auch die Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf, Iryna Shum, und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker an der Feier teil.
Für viele ist die Militärseelsorge, das ist immer wieder zu hören, von elementarer Bedeutung – gerade bei Auslandseinsätzen. "Sie stärkt enorm für den eigenen Dienst. Denn der Krieg war für uns selten so nah. Und natürlich beschäftigt mich, dass Kameraden meines Alters aus einem Einsatz nicht mehr nach Hause kommen", sagt jemand, der schon in Bosnien und Afghanistan stationiert war. "In vielen Teilen der Welt verlieren Söhne, Brüder und Väter gerade ihr Leben bei dem Versuch, Schwächere zu schützen. Darüber denke ich viel nach. Aber auch darüber, dass es Menschen wie uns geben muss, die unter Umständen für die Verteidigung von Recht und Heimat ihr eigenes Leben riskieren." Solche Gedanken seien nicht leicht, und natürlich laufe die Angst immer mit. Umso wichtiger sei ihm sein Glaube. "Als Bundeswehrangehöriger ist das Gebet für mich ganz wesentlicher Bestandteil meines Selbstverständnisses. Ich brauche die Rückbindung, sonst könnte ich meine Aufgabe nicht erfüllen. Ein Gottesdienst wie dieser lässt mich auftanken." Darüber hinaus sei er ein Ausdruck von Wertschätzung für alle Soldatinnen und Soldaten.
Für Hauptmann Mario Stange vom Amt für Heeresentwicklung, der schon auf dem Balkan und Jahre später in Dschibuti stationiert war, ist der alljährliche Soldatengottesdienst ein äußeres Zeichen dafür, dass die Bundeswehr im christlichen Glauben verankert ist. "Ich bin gläubig, deshalb bin ich heute hier. Denn für andere einzustehen, mich an die Seite der Schwachen zu stellen, hat für mich auch mit meinem Glauben zu tun", bekennt der 49-Jährige.
Major Karsten Kerkloh betont ebenfalls den "hohen Stellenwert" der Militärseelsorge. "Gerade in schwierigen Zeiten, wenn man länger von seiner Familie getrennt ist, gibt sie festen Halt", so der 40-Jährige, der einräumt, auch selbst schon seelsorgliche Begleitung bei einem Afghanistan-Einsatz in Anspruch genommen zu haben. Generalmajor Stefan Zeyen von der Kommandostreitkräftebasis in Bonn formuliert als sein wichtigstes Anliegen, für Frieden und Freiheit zu beten, vor allem mit Blick auf das große Leid der ukrainischen Kameraden. "Gerade bei diesen Witterungsbedingungen müssen wir uns klar machen, dass sie neben den Kriegsgräueln auch persönlich große Entbehrungen auf sich nehmen", ergänzt Richard Frevel, Generalmajor der Luftwaffe, Stadtkommandant der Oberbürgermeisterin und Standortältester in Köln. Dieser internationale Gottesdienst bedeute ihm viel. "Der Dom ist ein guter Ort, um innezuhalten und mit unserer Uniform ein sichtbares Zeichen für das zu setzen, wofür wir uns einsetzen: nämlich für Frieden."
"Wir denken an alle, die ihr Leben im Krieg gelassen haben." Das bewegt Frank Marcus, den Vizepräsidenten vom Apostolat militaire international aus den Niederlanden. Ihn treibe die Sorge um derzeit viel zu viele Kriegsschauplätze um. "Ich bin daher hier, um für den Frieden zu beten." "Auch wenn das manch einem nicht logisch erscheint, weil Soldaten angeblich keine Friedensbotschafter sein können", meint Oberstleutnant Ulrich Schäffer, Bundesvorsitzender der Gemeinschaft katholischer Soldaten (GKS), "ist das kein Widerspruch.
Manchmal reicht schon die Präsenz von Militär aus, für Frieden zu sorgen." Dennoch müsse man immer auf die Kraft der Diplomatie hoffen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, in der Ukraine genauso wie im Nahen Osten. "Wir stehen hinter Israel", unterstreicht Schäffer, "aber auch hinter den Zivilisten in Palästina; hinter allen, die schuldlos Opfer dieses Krieges sind." Dieser müsse dringend ein Ende finden. Dafür beten wir." Streitkräfte dienten vor allem der Friedenssicherung, erklärt er, und von daher dazu, Bündnisse zu schützen. "Wenn wir nicht wären, würden auch die Menschen in Deutschland nicht in Frieden und Freiheit leben."
Bitte um Frieden steht im Zentrum
Dass bei dieser Feier alle Kontinente vertreten sind, lässt sich unschwer an den Uniformen, aber auch an der Hautfarbe einzelner Militärangehöriger erkennen. Da sind zum Beispiel junge Soldatinnen und Soldaten aus Sambia, Ghana, Kolumbien, Österreich und der Mongolei, die später in jeweils ihrer Landessprache die Fürbitten vortragen werden. Und wie in jedem Jahr kennzeichnet eine ganz eigene berührende Ernsthaftigkeit diese Eucharistiefeier, zu der der Leitende Militärdekan Monsignore Rainer Schnettker alle militärischen und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Standorte Köln, Bonn, Aachen, Wesel und Nörvenich begrüßt. Und dass in einem europäischen Nachbarland ein furchtbarer Krieg gerade zeitgleich wieder Opfer fordert und Menschen im Nahen Osten ihr Leben verlieren, ist an diesem Morgen sehr präsent. Die bedrückende Aktualität, mit der hier die Bitte um Frieden ins Zentrum gerückt wird, spiegelt sich in den angespannten Mienen aller Uniformträger.
In seiner Predigt geht Kardinal Woelki der schwierigen Frage nach, in wieweit die Verteidigung des Friedens mit Waffen aus christlicher Sicht gerechtfertigt ist. Dabei skizzierte er die Haltung von Pazifisten, die radikal ablehnen, auf Gewalt mit Gegengewalt zu reagieren und damit den Teufelskreis einer drohenden Gewaltspirale durchbrechen wollen, genauso wie die Lehre des Heiligen Augustinus aus dem 4. Jahrhundert, die sich, so der Erzbischof, "einem radikalen Pazifismus in gewisser Weise entgegen stellt und dabei sogar Eingang in die Charta der Vereinten Nationen sowie in den Katechismus der Katholischen Kirche gefunden hat".
Nach dieser Lehre gehe es auch in den Seligpreisungen der Bergpredigt – namentlich den "beati pacifici", also denen, die Frieden stiften – nicht um einen radikalen Gewaltverzicht, sagt er, sondern vielmehr darum, Wege zu einem nachhaltigen Frieden zu finden, wobei Gewalt nicht immer völlig ausgeschlossen werden müsse. "Denn als Ultima Ratio und somit als ein notwendig kleineres Übel sei eine solche gewaltsame Verteidigung aus Notwehr und in engen Grenzen moralisch zu tolerieren", betont Woelki wörtlich. "Allerdings müsse sie eben durch eine legitime Autorität erlaubt sein und einen gerechtfertigten Grund, ein realistisches Ziel sowie eine moralisch gute Intention aufweisen." Er betont: "Krieg und Gewalt bleiben demnach immer ein Übel. Sie sind nie Ausdruck von Gerechtigkeit. Gerecht kann nur der Friede, nie der Krieg sein."
Demnach gelte es nicht, der Forderung eines radikalen Pazifismus nachzugeben und – weil der Dienst an der Waffe ethisch äußerst fragwürdig sei – die eigene Uniform an den Nagel zu hängen und keinen Widerstand zu leisten. Diese viel diskutierte Lehre vom "bellum iustum", vom gerechten – besser noch vom gerechtfertigten – Krieg, habe in der Kirche, erklärt Woelki, durchaus nach wie vor Bestand: "als Mittel zu wirklichem Frieden und als Notwehr". Denn Notwehr sei im letzten deshalb gerechtfertigt, weil ohne sie möglicherweise der Terror oder die Despotie das Regiment übernehmen, eine legitime staatliche Gewalt ersetzen und Unheil über die Menschen bringen würde. "Es handelt sich bei ihr aber lediglich um ein Abwehrrecht, nicht um ein positives Recht oder gar eine moralische Pflicht zur Selbstverteidigung mit allen Mitteln. Das Ziel eines gerechtfertigten Krieges ist und bleibt so immer die Erlangung des Friedens, und zwar eines wirklichen, eines gerechten Friedens."
Letztlich sei Jesus Christus selbst Vor- und Leitbild, formuliert Woelki an anderer Stelle. "Er ist der ‚Fürst des Friedens’, wie er bereits vom Propheten Jesaja angekündigt wird. Er ist es auch, der uns in der Bergpredigt mit auf den Weg gibt: ‚Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden’."
Aufruf, den Weg zu einer gewaltfreien Welt zu bereiten
An seine Zuhörerinnen und Zuhörer im Kölner Dom appelliert der Erzbischof, "hier und heute den noch so langen Weg zu einer gewaltfreien Welt zu bereiten – und zwar mit allen moralisch legitimierten Mitteln, also etwa durch gewaltlosen Widerstand oder aber auch durch eine lang angelegte weltweite friedensethische Bildung. Und im Zweifelsfall durch das pragmatisch geduldete Übel der Notwehrgewalt, das uns vor ungezügelter Barbarei bewahrt."
Ziel aber bleibe immer der Frieden. Als Garantinnen und Garanten des Friedens kämen Soldatinnen und Soldaten eine gewichtige Rolle zu. "Denn das Ziel eines nachhaltigen Friedens sollte nicht nur Kompass Ihres Handelns sein. Vielmehr wäre ein solcher nachhaltiger Frieden immer auch ein Geschenk, Ihr Geschenk an unser Volk und an alle Menschen, die guten Willens sind", wendet sich der Kardinal den Militärangehörigen zu und dankt ihnen ausdrücklich für ihren Dienst.
Vor dem Schlusssegen betont Woelki noch einmal, dass Waffen letztlich keine Lösung seien und nur Verwüstung und Tod zurückblieben. "Stärker als alle Waffen ist unser Gebet", stellt er daher fest. "Beten wir, dass die Waffen schweigen mögen und ersetzt werden durch Gespräch, Verhandlung und Versöhnung!"