Der Kölner Erzbischof sagte am Montag der "Bild"-Zeitung: "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Herumbasteln an den äußeren Erscheinungsformen von Kirche nicht mehr Menschen anlockt", fügte er hinzu. "Der Glaube ist entscheidend, nicht wer ihn verkündigt, ob er Mann oder Frau ist, alte oder neue Lieder singt oder der Priester verheiratet ist."
Woelki wandte sich zudem gegen eine Einstellung, der Glaube sei per Mehrheitsbeschluss verhandelbar: "Ich kann nicht darüber abstimmen, ob Jesus zu Weihnachten Mensch geworden ist oder nicht. Selbstverständlich muss man anhören, was Christen sagen, nicht nur die in Laien-Organisationen. Aber auch deren Sicht muss vor dem Evangelium, den Lehren und den Beschlüssen der Kirche Bestand haben."
Über die Ehelosigkeit (Zölibat) von Priestern könne man zwar diskutieren, aber man müsse da auch realistisch sein: "Das wird nicht im deutschsprachigen Zweig der katholischen Kirche entschieden, sondern in der Weltkirche insgesamt." Der Glaube habe ja nicht 2.000 Jahre lang gelogen, so dass man ihn heute einfach mit einem Fingerschnipp neu entwerfen könnte. Auf die Frage, ob der Papst bei möglichen Reformen das letzte Wort habe, sagte Woelki: "Das letzte Wort hat Christus. Aber im Zweifelsfalle spricht es der Papst aus."
Weihnachten Exportschlager des Christentums
Im Weihnachtsfest sieht Woelki den wichtigsten "Exportschlager des Christentums". Das Fest verbinde weltweit Menschen unterschiedlichster Kulturen und Regionen, so Woelki. "Es steht für die eine Frage, die nie alt oder langweilig wird, nach unserem Ursprung. Woher komme ich, was wird aus mir. Welche Zukunft habe ich." Deshalb werde Weihnachten in Singapur, in Tokio, New York oder eben in Köln gefeiert und berühre das Herz der Menschen.
"Weihnachten ist ein historisches Ereignis, bei dem Gott in die Welt hinein spricht und zeigt: Ich überlasse den Menschen nicht sich selbst", fügte der Kölner Erzbischof hinzu. Auf die Frage, ob er den biologischen Hergang der Weihnachtsgeschichte überzeugend finde, sagte Woelki: "Als Christ glaube ich, dass Gott den Willen und die Möglichkeit hat, in die Geschichte einzugreifen. Er durchbricht die Kette der natürlichen Zeugungen und erschafft jenes Kind von Bethlehem, jenen Menschen, durch den er selbst spricht und sich offenbart. Wenn ich an Gott glaube, fällt es mir nicht schwer, ihm dies zuzutrauen."
Auch wenn das Weihnachtsgeschehen einzigartig sei, wirke Gott weiter in der Geschichte "durch Menschen, denen wir begegnen, durch unglaubliche Rettungen in der Not oder Momente, in denen wir spüren, dass etwas geschieht, das nicht aus uns selbst kommt. Er ist da." Dass noch immer viele Gläubige den Kirchen den Rücken kehren, sieht Woelki als Herausforderung. "Wir Christen müssen verstehen, dass es bei uns nicht mehr selbstverständlich ist, Christ zu sein. Das Traditionschristentum, in das man hineingeboren wurde und sein Leben lang für sich akzeptierte und mitnahm, trägt nicht mehr." Vielleicht sei es auch in Wahrheit nie so selbstverständlich gewesen. "Christentum ist kein Selbstläufer, sondern muss den Menschen erklärt und begründet werden. Diese Aufgabe müssen wir annehmen."
Klimaschutz hat für manche "religiöse Züge"
In der Debatte um den Klimaschutz erkennt Woelki "religiöse Züge". Allerdings sei die Bewahrung der Schöpfung schon lange vor Greta ein Thema der christlichen Kirchen, so der Kölner Erzbischof. Klimawandel und Klimaschutz seien auch für die Kirche wichtig; sie arbeite seit Jahren mehr und mehr klimaneutral. "Wir sollten auch viel mehr überlegen, ob wir Dächer von Kirchen und unseren anderen Immobilien, wo das möglich ist, noch stärker mit Solarzellen bestücken. Denkmalschutz ist das eine, aber wir müssen vor allem die Schöpfung schützen. Ich glaube, wir sollten da umdenken."
Gleichzeitig spricht sich Woelki für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns aus. "Es ist nicht akzeptabel, wenn man von seiner Hände Arbeit nicht leben kann oder mehrere Jobs machen muss, und am Ende eines langen Arbeitslebens die Rente nicht reicht." Die Digitalisierung werde die soziale Frage durch den Wegfall von Arbeitsplätzen neu stellen. "Wir sollten da nicht sehenden Auges in eine neue Armutskrise hineinschlittern. Deshalb sollten wir Migranten mit einer guten Ausbildung auch nicht aus ideologischen Gründen in ihre Heimatländer abschieben, während wir gleichzeitig Fachkräfte anderswo anwerben wollen."
"Deutschland wird islamischer, je weniger wir christlich leben"
Verglichen mit der Lebenssituation in anderen Teilen der Welt gehe es den Menschen in Deutschland gut, sagte der Kardinal. "Trotzdem können wir uns nicht damit zufriedengeben, dass so viele Menschen im Bereich von Niedrig- und Mindestlohn arbeiten und sich eine neue Dienstleistungsarmut etwa in Pflegediensten oder bei Paketzustellern herausbildet."
Zum Verhältnis zwischen Islam und Christentum in Deutschland sagte Woelki: "Deutschland wird islamischer, je weniger Christen wir sind und je weniger wir christlich leben. Deshalb sollten wir unseren Glauben ernst nehmen, wir sollten Weihnachten ernst nehmen und daraus kein Glühwein- oder Engel-Fest machen." Je mehr die Menschen christlich lebten und authentisch seien, desto christlicher bleibe oder werde die Gesellschaft. "Es liegt an uns."