domradio.de: Herr Erzbischof, wie haben Sie diese Nachricht vernommen?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof Köln): Zunächst hat mich diese Nachricht total schockiert. Ich habe heute Morgen einen Anruf von Weihbischof Heinrich bekommen. Der Berliner Weihbischof ist mit Kardinal Meisner befreundet und hat sich bei uns gemeldet. Er hat mir gesagt, dass Kardinal Meisner heute Morgen von seinem Freund Michael Schlede in den Ferien tot aufgefunden worden ist. Der Kardinal hat da ganz friedlich gesessen und muss gerade verstorben sein. Er wollte mit seinem Freund die Heilige Messe feiern, er hatte alles vorbereitet für die Feier der Eucharistie und er hatte das Brevier noch in den Händen. Er muss darüber einfach eingeschlafen sein.
domradio.de: Was war Ihre erste Reaktion, Ihr erstes Gefühl?
Kardinal Woelki: Natürlich eine tiefe Betroffenheit, ein Schock. Ich habe am Freitag noch mit ihm telefoniert in die Ferien hinein. Er war guter Dinge, er war ganz ausgeglichen und es deutete überhaupt nichts daraufhin, dass es ihm irgendwie schlecht ging, oder dass er gesundheitlich beeinträchtigt sein könnte.
domradio.de: Kardinal Meisner war ein Mann des Glaubens. Er hatte keine Angst vor dem Tod.
Kardinal Woelki: Nein, er hatte keine Angst vor dem Tod, dass hat er immer wieder verkündet. Für ihn stand Gott im Zentrum und nichts anderes galt eigentlich für ihn. Er hat seine ganze Welt, sein Denken, sein Handeln, das politische und gesellschaftliche Deuten immer von Christus her gedacht und auf Christus hin ausgerichtet. Für ihn war der Tod wie er oft sagte, nur der Hinübergang von der einen Hand Gottes in die andere Hand Gottes; das Durchschreiten einer Tür in die andere Wirklichkeit des Lebens hinein.
Für ihn bedeutete das Leben hier auf Erden und das Leben bei Gott ein einziges Leben, das in der Taufe begonnen hatte. Er sprach auch immer davon, dass er eine kleine Schatztruhe, wie eine Bundeslade, bei sich aufbewahre. Da war seine Taufurkunde, seine Firmurkunde und die Weiheurkunden über die Diakonen-, Priester- und Bischofsweihe drin. Sein Weg war von Anfang an ein Weg von Gott her auf Gott hin. Jetzt hat er einfach sein Leben vollendet.
domradio.de: Sie sind eine lange Wegstrecke mit ihm gemeinsam unterwegs gewesen. Was bleibt Ihnen?
Kardinal Woelki: Ein großes Gefühl der Dankbarkeit. Kardinal Meisner hat mich tief geprägt. Er hat mich geprägt in meinem Glauben. Er hat mich geprägt in der Festigkeit des Glaubens. Er ist für mich ein Zeuge des Glaubens. Er ist für mich ein Zeuge, der immer für die Wahrheit des Glaubens eingetreten ist - gelegen oder ungelegen. Er hat gekämpft für den Schutz des Lebens - am Beginn und am Ende. Überall dort, wo die Würde des Menschen beeinträchtigt war, am Beginn und am Ende, wo Menschen das Lebensrecht abgesprochen worden ist, da hat er seine Stimme erhoben. Er hat sie erhoben, auch in der Diktatur der DDR.
Er hat sie erhoben, dort wo Menschen ihren Glauben nicht frei leben konnten. Deshalb hat er ja auch eine große Beziehung nach Osteuropa gehabt und dort mit Blick auf die Freiheitsrechte gekämpft. Für mich ist ein bedeutender Mann der Kirche, ein bedeutender Mann der Zeitgeschichte von uns gegangen, der die bundesrepublikanische und die kirchliche Wirklichkeit nach 1989 entscheidend mitgeprägt hat. Ich glaube, er hat auch die europäische Wirklichkeit mitgeprägt - ähnlich wie Johannes Paul II. Ich glaube, dass gar nicht zu ermessen ist, was Kardinal Meisner für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Osteuropa, insbesondere auch zwischen Polen und Tschechien getan hat.
Das Gespräch führte Ingo Brüggenjürgen.