Kasten-Krieg bedroht Christen - Der Norden Indiens kommt nicht zur Ruhe

Ungerechtestes Sozialsystem der Welt

Zum zweiten Mal in acht Monaten tobt ein blutiger Konflikt im nordindischen Bundesstaat Orissa. Hindus und Christen bekämpfen sich im bitter armen Kandhamal-Distrikt. Der letzte Funke, der das Feuer entzündete, war die Ermordung von Hindu-Extremist Swami Laxmananda Saraswati, vermutlich durch maoistische Rebellen. Hinter den blutigen Ausschreitungen steckt ein tiefer Konflikt um Job- und Bildungschancen. Denn für benachteiligte Kasten und Volksgruppen gibt es Quoten bei der Vergabe von Stellen und Plätzen an höheren Schulen.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Obwohl das Kastensystem auf dem Papier längst abgeschafft ist, lebt es in ganz Indien weiter. Das älteste und wohl auch ungerechteste Sozialsystem der Welt teilt die Bewohner des Subkontinents in vier Hauptkasten und Kastenlose ein. Menschen außerhalb des Kastensystems sind Dalits - also Unberührbare - oder Ureinwohner.

Seit den 50er Jahren schon sind für diese benachteiligten Bevölkerungsgruppen bestimmte Anteile der Regierungsjobs und Studienplätze reserviert. Doch für viele Kinder ohne Kaste ist schon der Besuch der Grundschule nicht selbstverständlich. Als jüngst ein Dalit in einer Dorfschule als Koch eingestellt wurde, meldeten aufgebrachte Oberkasten-Eltern ihre Kinder vom Unterricht ab.

Die offizielle Einteilung der Kastenlosen ist kompliziert, chaotisch und undurchsichtig. Grob gesehen wird in «scheduled tribes» (gelistete Völker) und «scheduled casts» (gelistete Kasten) unterschieden. Im Kandhamal-Distrikt wohnen 64.800 Menschen. 52 Prozent von ihnen gehören zu den «scheduled tribes» (ST), 17 Prozent von ihnen haben den Status «scheduled casts» (SC). Die einen sind Ureinwohner, die anderen christliche Dalit.

Im Jahre 2002 wurde den Kuis, Ureinwohnern in Orissa, der ST-Status eingeräumt. Die Gruppe, sehr einfach lebende Bauern, spricht Kui. Doch es war von vornherein nicht klar, wer zu den Kuis gehören sollte und inwieweit Kui sprechende Christen dazugehören würden.

Die «Pana-Christen», wie sie in der Region heißen, fordern, in die Kategorie der ST aufgenommen zu werden. Denn Angehörige gelisteter Kasten, die konvertieren, verlieren die Privilegien, die ihnen die Regierung eingeräumt hat, während die gelisteten Völker sie behalten.

Dieser Konflikt hat die Spannungen in der Region weiter verschärft. Dazu kommt, dass die radikale Hindu-Organisation VHP strikt gegen die Privilegien für die Pana-Christen ist, weil das angeblich die Vorteile der Hindu-ST verringert. «Die Pana-Christen fordern das Recht auf ST, mit der Begründung, dass sie die örtliche Kui-Sprache sprechen. Doch es gibt hier auch Menschen aus den allgemeinen Kasten, die Kui sprechen. Das darf kein Maßstab sein», sagt VHP-Chef Gouri Prasad Rath.

Die VHP betreibt seit langem die so genannte Sanskritisierung der Stammesvölker. Chef der VHP in der Region war der Ende August ermordete Saraswati. Der religiöse Einpeitscher soll auch der Drahtzieher des «schwarzen Weihnachten» 2007 gewesen sein, als im Kandhamal-Distrikt Kirchen und Häuser von Christen in Brand gesteckt wurden.

Vorwand für die Übergriffe auf Christen ist stets der Vorwurf, Missionare würden Menschen mit Zwang zum Christentum bekehren, um Indien zu einem christlichen Staat zu machen. Doch allein die Zahlen sprechen gegen diesen These. Nur 2,6 Prozent der Einwohner Indiens sind Christen. In Orissa sind es 2,4 Prozent. Die Zahlen sind seit Jahren konstant. Seit 1969 hat der Bundesstaat jedoch ein strenges Konversionsgesetz, das Bekehrung zum Christentum unter Zwang bestraft, nicht allerdings die erzwungene Bekehrung zum Hinduismus.