domradio.de: Wer gehört denn alles zur Heiligen Familie?
Jan Hendrik Stens (Theologie-Redaktion): Streng genommen sind es Jesus, Maria und Josef. Das ist sozusagen der Inner Circle, wie wir das auch bei unseren Familien kennen. Auch Kinder spielen häufig Vater, Mutter, Kind. Wenn man das noch ein wenig ausweitet, dann gehören noch die Großeltern von Jesus dazu, nämlich Joachim und Anna. Wobei die in der Heiligen Schrift so nicht vorkommen, sondern mehr in den Apokryphen, das sind Texte, die nicht offiziell zum Kanon der Evangelien hinzugezählt werden. Aber die Familie wird im Laufe des neuen Testaments noch enorm ausgeweitet.
domradio.de: Wer kommt da noch hinzu?
Stens: Wir müssen uns das so vorstellen: Das Fest bzw. die Verehrung der Heiligen Familie ist erst im 19. Jahrhundert in Kanada entstanden, also sehr spät. Erst 1920 wurde dieses Fest verbindlich in der Kirche eingeführt. Mit dem Ersten Weltkrieg hat sich sehr viel im Wertekanon der Gesellschaft geändert. Der Krieg war eine Zäsur. Mit den modernen Formen wurden die alte Welt und die alte Kultur ein wenig erschüttert und dazu zählte auch das traditionelle Familienbild. Es gab die ersten alleinerziehenden Eltern. In einer Zeit, in der man die traditionelle Familie bedroht sah, hat man dieses Fest installiert - das war sicherlich auch politisch motiviert. Man hat dann die Heilige Familie als Vorbild für die christliche Familie präsentiert. Und jetzt muss man ein wenig weiterdenken: Im Laufe der Evangelien gibt es immer wieder Szenen, in denen Jesus seine leibliche Familie brüskiert. Zum Beispiel bei der Hochzeit von Kana. Da sagt seine Mutter, dass es keinen Wein mehr gibt und er antwortet: Frau, was willst du? Oder an einer anderen Stelle sagen die Jünger zu ihm, dass draußen seine Mutter und seine Geschwister stehen. Und Jesus sagt: Wer sind denn meine Mutter und meine Geschwister? Diejenigen, die das Wort Gottes beachten und befolgen, die sind für mich Bruder, Schwester und Mutter. Jesus geht also über die leibliche Familie hinaus und so versteht sich auch das Christentum. Es geht nicht um eine Blutsverwandtschaft, sondern alle, die an Jesus Christus glauben, gehören mit zur christlichen Familie.
domradio.de: Nach der Definition gehören wir dann auch dazu?
Stens: Im übertragenden Sinne ja. Wenn wir streng schauen, was in den Evangelien steht, dann gehören wir mit zur christlichen Familie hinzu, weil wir uns zu Jesus Christus bekennen. Er will deutlich über die engen Grenzen der leiblichen Familie hinaus, so kann man das schon sehen.
domradio.de: Wird das besonders gefeiert heute?
Stens: Die Gottesdienste heute haben alle eine weihnachtlichen Charakter. Josef kommt später in den Evangelien so gar nicht mehr vor. Maria zwar an einigen Stellen noch, aber wo wir Jesus, Maria und Josef noch einmal zusammen haben - das ist vor allem ein weihnachtliches Thema. Wie Jesus aufwächst, erfahren wir an einigen Stellen noch. Wir haben dann später etwa die Wallfahrt nach Jerusalem, wo der kleine Jesus verlorengeht und die Eltern sich Sorgen machen und ihn dann im Jerusalemer Tempel finden, wo er sich mit den Schriftgelehrten unterhält. Da kommt die Kindheit Jesu zur Sprache, wie wir sie vor allem im Lukasevangelium immer wieder lesen. Das ist immer ein ganz besonderes Thema. Aber ich denke auch, die Heilige Familie hat etwas, was wir heute in einer modernen Familie häufig sehen: Da ist eine Frau, die ist noch gar nicht mit ihrem Verlobten verheiratet und erwartet ein Kind, das ist heute fast normal. Aber sie erwartet das Kind nicht von ihrem Verlobten. Das Kind ist vom Heiligen Geist. Welcher Mann aus unserer Gesellschaft würde dann auch noch zu seiner Verlobten stehen? Die Heilige Familie hat schon einige Herausforderungen zu bieten - auch für unsere heutige Gesellschaft.
Das Interview führte Silvia Ochlast.