"Was war das früher doch wunderbar, als man sich über nichts Gedanken machen musste", schwärmt Kabarettistin Monika Hintsches. "Ich war schwanger – und bumms, da war ich schon im Mütterverein. Die Männer wurden im Kirchenvorstand entsorgt." Heute dagegen sei man in einer Gemeinschaft zwischen zwei Pfarreien zusammengespannt, "die sich seit 2000 Jahren bis aufs Blut bekriegen".
Was die Kabarettistin auf humorvolle Weise anspricht, hat einen ernsten Hintergrund: Die Zeiten haben sich für die Kirche dramatisch geändert. Deshalb gibt es im Bistum Aachen den Dialog- und Veränderungsprozess "Heute bei dir", um über drei Jahre hinweg in verschiedenen Gruppen und Gesprächsformaten Wege in die Zukunft des Bistums zu suchen. Am Samstag befassen sich in Aachen 250 Haupt- und Ehrenamtliche aus allen Regionen der Diözese bei einem Themenforum mit der Frage, wie die Kirche sich bei ihrem karitativen Engagement neu aufstellen kann.
Flüchtlinge, Obdachlose und Alkoholiker
"Nie wart ihr so wertvoll wie heute!", gibt Kabarettistin Hintsches den Teilnehmern mit auf den Weg. Und die Organisatoren des Aachener Generalvikariates werden nicht müde, alle Anwesenden zu einer freien, verantwortlichen Gestaltung des Tages zu ermuntern. Die lassen sich nicht zweimal bitten und legen nach einer Murmel-Runde sofort mächtig los. Rund 40 kleine Arbeitsgruppen entwickeln 42 Vorschläge. Sie umfassen ein ganz breites Spektrum: von der Krankenhaus- und Hospizseelsorge über das Verhältnis von Caritas, Gemeinden und Verbänden, die Vernetzung im ländlichen Raum bis hin zur Kinder- und Jugendarbeit sowie der Seelsorge für Flüchtlinge, Obdachlose und Alkoholiker. Selbstverständlich fehlt auch das Thema "sexualisierte Gewalt" nicht.
Eine Gruppe etwa setzt sich mit dem Bereich "Flüchtlinge und gesellschaftspolitisches Engagement" auseinander. Ein Gemeindereferent beklagt nachlassendes Engagement für die Migranten in den Gemeinden. In den Gottesdiensten spiegele sich das Thema überhaupt nicht wieder. "Ich wünsche mir auch, der Bischof würde sich zu Abschiebungen von Asylbewerbern und der Flüchtlingspolitik von Europa, Ungarn und Italien deutlicher äußern." Eine ältere Teilnehmerin bekennt, sie habe sich vor Jahren aus der Kirche zurückgezogen, setze aber jetzt große Hoffnungen auf "Heute bei dir".
"Ich brauche die Kommunion, aber nicht die Kirche"
Ihr Nachbar stimmt zu: "Ich brauche die Kommunion, aber nicht die Kirche. Wir sind in Vorschriften gefangen, die uns einschränken." Einig ist sich die Runde darin, dass die Kirche ihre gesellschaftspolitische Kompetenz stärken müsse. Die Themen Flüchtlinge und Fremdenhass müssten Eingang in den Gottesdienst finden. Wie die Kirche sich aber zu tagespolitischen Fragen, etwa zur Rodung des Hambacher Forstes, äußern soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Es wird intensiv diskutiert, aber ebenso gut zugehört. Leute aus ganz verschiedenen Richtungen – Haupt- und Ehrenamtliche, kirchlich Engagierte und Fernstehende – komme hier mit zahlreichen Ideen, Gedanken, Impulsen und Initiativen zusammen und bereichern sich gegenseitig. Aufbruchstimmung liegt in der Luft – und das Gefühl, dass die meisten Anwesenden doch ähnlich "ticken".
"Ich glaube, dass wir weiterkommen"
Vor allem ein großes Anliegen zieht sich wie ein roter Faden durch den Tag: Dass es dem Bistum Aachen gelingt, die Kluft zwischen Lebenswirklichkeit und kirchlicher Lehre zu überwinden. "Die Kirche muss die Doppelmoral bei bestimmten Themen beiseitelegen, die Menschen vorurteilsfrei wahrnehmen und mit ihrer Lebenswirklichkeit offen umgehen", heißt es stellvertretend für viele in einer Gruppe.
"Sie muss näher an die Menschen und ihre Problemlagen heran." Bei allen Kontroversen zieht einer der Koordinatoren des Dialogprozesses, Wolfgang Oellers, eine positive Bilanz. Das Themenforum habe ihm viel gebracht. "Hier gab es ein hohes Maß an Professionalität und viele Menschen, die wissen, was sie tun und tun wollen." Auch Bischof Dieser lobt die "hohe Disziplin und Kompetenz" der Teilnehmer und schaut positiv in die Zukunft des "Heute bei dir"-Prozesses: "Ich glaube, dass wir weiterkommen."