Katholische Erziehergemeinschaft zu steigenden Schülerzahlen

"Ein demografisches Rendite-Märchen"

Entgegen aller Prognosen wird die Schülerzahl laut der aktuellen Bertelsmann-Studie in Deutschland steigen. Das hat dramatische Folgen, sagt Dr. Bernd Uwe Althaus, Bundesvorsitzender der Katholischen Erziehergemeinschaft Deutschlands.

Grundschüler im Unterricht (dpa)
Grundschüler im Unterricht / ( dpa )

domradio.de: Laut der aktuellen Studie werden es bis zum Jahr 2025 eine Million Schüler mehr sein als man bisher dachte. Denn es werden wieder mehr Kinder geboren und dazu kommen die jungen Menschen, die zuwandern werden. Eine Herausforderung, auf die sich Bund und Länder nicht eingestellt haben. Wundern Sie sich über die Ergebnisse der Studie?

Dr. Bernd Uwe Althaus (Bundesvorsitzender der Katholischen Erziehergemeinschaft Deutschlands): Nein, ich wundere mich nicht. Ich selbst komme beruflich aus Thüringen. Wir haben in den letzten Jahren schon mitbekommen - durch die zentrale Lage und durch die Nachbarschaft Niedersachsen, Hessen, Bayern, Sachsen-Anhalt und Sachsen - wie die Realität des Lehrerbedarfs und die prognostizierten Zahlen dramatisch auseinanderlaufen.

domradio.de: Welche Folgen hat dieser Schüler-Boom?

Althaus: Es gibt verschiedenste Folgen. Die erste ist die sächliche und räumliche Bedingung. Die Schulträger, also diejenigen, die für die Gebäude und deren Ausstattung verantwortlich sind, brauchen Planbarkeit in ihren Zahlen. Keine Kommune, kein Landkreis kann Finanzmittel, wie sie für den Neubau und die Erweiterung von Schulen notwendig sind, aus dem Boden stampfen. Demzufolge müssen wir hier seriöse Zahlen vorlegen. Sie sprachen von 2025 – aber da fallen ja nicht plötzlich eine Million neuer Schüler vom Himmel, sondern das ist der Aufwuchs, der 2020 schon etwa bei 470.000 liegt und sich bis 2025 auf eine Million hochrechnen wird.

Das ist wirklich eine dramatische Entwicklung, auf die wir reagieren müssen. Aber der sächliche Bereich bei den Schulträgern ist noch das geringste Problem. Die Pädagogen, die Fachlehrer, die Erzieherinnen und Erzieher und die anderen Professionen, die in der Bildung tätig sind, müssen ebenfalls im Blick sein bei der Planung.

domradio.de: Ist es das, was Sie das "demografische Rendite-Märchen" nennen?

Althaus: Ja, genau, und das finde ich ein Stück unverantwortlich. Die Kultusbürokratie hat uns in den vergangenen Jahren anhand der erhobenen Zahlen regelmäßig deutlich gemacht: Spätestens nach 2020 ist der Lehrermangel kein Problem mehr und der Ausgleich der Bundesländer kann dafür sorgen, dass wir ausreichend Lehrkräfte haben. Und der Staat kann die demografische Rendite auch ein Stück weit zurückfahren, um damit die solide Finanzierung anderer Ausgaben zu realisieren. Das haben wir als Verbandsvorsitzende schon längere Zeit für ein Märchen gehalten. Die Zahlen der Bertelsmann-Stiftung machen jetzt genau das deutlich.

domradio.de: Alleine die Grundschulen brauchen bis 2025 fast 25.000 neue Lehrer. Es gibt schon heute einen Lehrermangel und viele Lehrer an den Schulen stehen kurz vor der Altersgrenze. Wie kann man denn so schnell zusätzliche Pädagogen einstellen?

Althaus: Grundsätzlich sind wir als Verband dafür, keine Abstriche in der Qualität zu machen. Das heißt, grundsätzlich müssten wir darauf dringen, dass die Universitäten und Hochschulen in der Zweiphasigkeit der Lehrerausbildung entsprechende Studiengänge einrichten oder in der Quantität aufrüsten.

Zum Zweiten müssen wir aber auch deutlich sagen: Wir werden ohne Quereinsteiger, ohne Seiteneinsteiger nicht auskommen. Und hier verlangen wir sehr deutlich, dass die Offenheit für Seiteneinsteiger keine Qualitätseinbuße sein darf. Wir müssen darauf dringen, dass parallel Qualifizierungsmaßnahmen für die Personen, die als Seiteneinsteiger in den Beruf kommen, so geboten werden, dass die Menschen, die zu uns wollen, in einer absehbaren Zeit sagen können, sie seien angekommen - dass sie sagen können: "Ich bin in der Lage das, was man im Lehrerberuf, im Erzieherberuf von mir erwartet, täglich zu leisten."

domradio.de: Haben Sie Ideen für solche Qualifizierungsangebote?

Althaus: Man muss zwischen zwei verschiedenen Seiteneinsteigern unterscheiden. Entweder haben die jungen Leute teilweise Fächer auf Lehramt studiert, die in der Praxis so nicht gebraucht werden. Das sind vollausgebildete Pädagogen, denen man die Möglichkeit bieten muss, sich fachlich in anderen Bereichen zu qualifizieren.

Oder sie sind wie in vielen Bundesländern Naturwissenschaftler, die als Ingenieure oder aus anderen Diplomstudiengängen mit einer Fachlichkeit kommen. Diejenigen benötigen das Know-How an Pädagogik, Psychologie und Didaktik. Daran müssen jetzt die Studienseminare und das Angebot in den Universitäten angepasst werden. Die Professoren, die für die Lehrerbildung verantwortlich sind, wären bereit dazu. Allerdings geht das nicht ohne die entsprechende Finanzausstattung.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR