Katholische Fachtagung zu spiritueller Hilfe nach Missbrauch

"Bleiben Sie ein Wachhund"

Kann ein Christ vergeben, nachdem er missbraucht wurde? Und welchen Aufgaben muss sich die Seelsorge stellen? Damit beschäftigten sich jetzt Missbrauchsbeauftragte auf einer Tagung. Am Ende hat der Bischof eine Bitte.

Autor/in:
Leticia Witte
Broschüre zur Fortbildung für Missbrauchs- und Präventionsbeauftragte / © Harald Oppitz (KNA)
Broschüre zur Fortbildung für Missbrauchs- und Präventionsbeauftragte / © Harald Oppitz ( KNA )

Verletzt und gedemütigt: Sechs Jahre ist es her, dass die Wunden von Opfern des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in großem Stil publik wurden. Nicht nur sind bis heute viele dieser Wunden nicht verheilt. Auch haben sich manche Betroffene von Kirche und Glauben abgewandt - zu groß waren Leid und Verzweiflung. Jetzt hat sich eine Fachtagung der Deutschen Bischofskonferenz in Köln damit beschäftigt, vor welchen seelsorgerischen Herausforderungen die Kirche steht und wie spirituelle Hilfe für Betroffene aussehen kann.

Herantasten an die Thematik

Die Veranstaltung sei als ein "erstes Herantasten mit aller Vorsicht an die Thematik" zu verstehen, hatte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, zum Auftakt gesagt. Denn: Manche Menschen beklagten, dass Opfer nach den Missbrauchsfällen zu wenig spirituelle Hilfe erfahren hätten. Auf der anderen Seite stehe jedoch die Sorge, dass die Taten spirituell "übertüncht" werden sollten.

2010, als die ersten Missbrauchsfälle publik wurden, gerieten Bischöfe, Priester und Laien in eine tiefe Vertrauenskrise. Im selben Jahr kehrten 181.193 Katholiken der Kirche den Rücken, so viele wie lange nicht. Bei Opfern sexueller Gewalt sei häufig auch der Glaube geschädigt worden, berichtete Ackermann.

Opfer haben oftmals Glauben verloren

Das Dilemma dabei: So hätten Betroffene eine "wesentliche Ressource" eingebüßt, die bei der Bewältigung ihrer schrecklichen Erlebnisse möglicherweise hätte helfen können. Andere Betroffene hielten an ihrem Glauben fest. Und es gebe auch "Zeugnisse von Menschen, die einen Versöhnungsweg gehen konnten", so der Bischof.

"Er fühlte sich wie Christus am Kreuz", so beschrieb Karlijn Demasure das Leid eines Missbrauchsopfers. Sie ist Geschäftsführerin des Zentrums für Kinderschutz am Institut für Psychologie der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. "Trauma ist ein überwältigendes Ereignis im Leben", stellte Demasure klar. Nachdem Menschen sexuell missbraucht worden seien, könne es vorkommen, dass sie im Nachgang für auftretende Probleme verantwortlich gemacht würden, etwa in Familien: "Sie werden zweimal stigmatisiert."

Die Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, Hildegund Keul, rückte das Thema Macht in den Mittelpunkt. "Der Wunsch, die eigene Institution zu schützen, enthält ein Gewaltpotenzial: Man verwundet andere, damit das Eigene nicht verwundet wird", erläuterte Keul mit Blick auf "Vertuschungen" durch Führungskräfte. "Die Kirche braucht eine hohe Sensibilität für ihre unsägliche Macht." Als eine Art "Stoppschild" empfahl Keul beispielsweise "Rituale der Heilung".

In Workshops befassten sich die Teilnehmer mit der Frage, ob Christen auch im Zusammenhang mit Missbrauch vergeben müssten, sowie mit Schuld und Scham. Ute Dirkmann, Missbrauchsbeauftragte im Erzbistum München und Freising, sagte am Ende der Tagung, sie habe "auf alle Fälle" Impulse erhalten und zog eine positive Bilanz.

Kirche und Regierung treffen Vereinbarung

Damit Kinder und Jugendliche künftig umfassend vor sexueller Gewalt geschützt werden, haben Ackermann, und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, eine Vereinbarung geschlossen. "Die katholische Kirche in Deutschland und alle ihr zugehörigen Einrichtungen sollen ein sicherer Ort für die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft sein", heißt es darin. Zuvor hatte sich Rörig beeindruckt gezeigt von den Aufarbeitungsbemühungen innerhalb der Kirche. 

Ackermann sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass bis heute rund 1.650 Anträge auf materieller Anerkennung bei der zentralen Koordinierungsstelle in Bonn beraten worden seien. "Das heißt, diese Anträge sind von den Bistümern positiv aufgenommen worden und mit einem Votum von der Koordinierungsstelle zurückgegeben worden." Auf den Beginn der Missbrauchsdebatte 2010 hatten die deutschen Bischöfe mit einer Serie von Maßnahmen reagiert. Nachlassen dürfe man allerdings nicht, betonte der Bischof. An die Teilnehmer der Tagung appellierte er: "Bleiben Sie ein Wachhund."


Quelle:
KNA