Mehr als 15 Jahre nach der letzten umfassenden lehramtlichen Erklärung der katholischen Kirche zu moraltheologischen Themen wurde am Montag im Vatikan ein neuer Text vorgestellt, in dem es um Menschenwürde und Moral geht.
Nach fünf Jahren Vorarbeit mit mehreren abgelehnten Entwürfen benennt der Text mit dem Titel "Dignitas infinita" (Unendliche Würde) die aktuellen Bedrohungen der Menschenwürde und ruft zu deren Verteidigung auf. Autor ist die zentrale Institution für die Bewahrung und Weiterentwicklung katholischer Dogmen, das Dikasterium für die Glaubenslehre im Vatikan unter Kardinal Victor Fernandez.
Bedrohung der Menschenwürde
Zu den Bedrohungen der Menschenwürde gehören dem Text zufolge zunächst die "gesellschaftlichen Übel" wie Ausbeutung, Menschenhandel, Todesstrafe, Krieg und Umweltzerstörung in ihrer ganzen Bandbreite und Dramatik. Hier macht sich die neuere katholische Lehrentwicklung unter Papst Franziskus deutlich bemerkbar.
Aber auch einige neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Sexual- und Fortpflanzungs-Medizin werden als Bedrohung der Menschenwürde genannt. Dies betrifft insbesondere die Leihmutterschaft und die immer häufiger nachgefragte anatomische Veränderung von Geschlechtsmerkmalen mit dem selbst erklärten Ziel einer Geschlechtsangleichung.
Wiederum knüpft die Erklärung dazu an Äußerungen von Papst Franziskus an. Dieser hat gleichgeschlechtlich liebenden Menschen sowie Transpersonen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als je ein Papst zuvor.
Nein zu Leihmutterschaft
Zugleich aber hat er die Leihmutterschaft und ebenso die "Gender-Ideologie" immer wieder scharf kritisiert. Offenbar war es an der Zeit, die mitunter spontan wirkenden Äußerungen des Kirchenoberhaupts zu diesen Themen grundsätzlich zu untermauern.
Anders als bei seinem aufsehenerregenden Papier zur Homosexuellen-Segnung vom Dezember 2023 versucht Kardinal Fernandez diesmal jedoch nicht, eine Brücke zwischen katholischen Dogmen auf der einen und menschlich-flexibler Seelsorge auf der anderen Seite zu schlagen. Selbst bei Themen wie Euthanasie oder Transgender werden keine "pastoralen Schlupflöcher" genannt, um eine weichere Anwendung der mit klarer Kante formulierten Lehrsätze zu ermöglichen.
Die zu finden, bleibt eine Aufgabe für die synodalen Beratungsprozesse in der Kirche; das Dokument "Dignitas infinita" bleibt beim Grundsätzlichen. Es leitet den Begriff der Menschenwürde und die daraus folgenden Forderungen angefangen von der Bibel über die antike und die mittelalterliche Philosophie bis hin zur Aufklärung und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte her.
Knapp 200 Jahre, nachdem er auf dem vatikanischen "Index der verbotenen Bücher" landete, schafft es Immanuel Kant mit seiner Moralphilosophie diesmal sogar in ein lehramtliches Dokument der katholischen Kirche - wenn auch mit Vorbehalten. So heißt es dort: "Selbst in der Sicht moderner Denker wie Descartes und Kant, die (...) einige der Grundlagen der traditionellen christlichen Anthropologie in Frage stellten, sind Anklänge an die (biblische) Offenbarung deutlich zu erkennen."
Hoher Anspruch für die Kirche
Nach dieser ideengeschichtlichen Herleitung formuliert Kardinal Fernandez einen hohen Anspruch für die Kirche. Historisch habe sie mit ihrem Denken den modernen Begriff der Menschenwürde mit angestoßen und geprägt. Und nun sei sie es, die das, was 1948 von den Vereinten Nationen als Grundlage für die Menschenrechte formuliert wurde, gegen Verfälschungen und gegen eine Verengung auf das individuelle Wohlergehen verteidige.
Im Dokument heißt es dazu wörtlich: "Die Kirche verkündet, fördert und macht sich zum Garanten der Menschenwürde." Und genau deshalb wende sich die Kirche dagegen, wenn die "Würde (...) mit einer isolierten und individualistischen Freiheit gleichgesetzt wird, die beansprucht, bestimmte subjektive Wünsche und Neigungen als von der Gemeinschaft garantierte und finanzierte 'Rechte' durchzusetzen."
In Ländern, in denen derzeit Forderungen nach mehr individuellen Freiheits- und Selbstverwirklichungsrechten die Gesellschaftspolitik dominieren, dürften diese Gedanken aus Rom auf Widerspruch stoßen.
Aber auch einige Beschlüsse des Synodalen Wegs in Deutschland, insbesondere zur Genderfrage, sind konträr zu dem, was "Dignitas infinita" formuliert.