domradio.de: Sie haben eine so genannte Graphic Novel gezeichnet, einen Comic-Roman, der von dem kurzen Leben einer jungen Frau erzählt. Warum schafft es Samia nicht, die nächsten Olympischen Spiele zu erreichen?
Reinhard Kleist (Autor und Illustrator): Sie versucht, zu trainieren, und das ist in ihrem Heimatland sehr schwierig. Somalia war zu der Zeit noch stark vom Bürgerkrieg gezeichnet, und ihr wurde das Leben von islamistischen Milizen schwer gemacht, die die Straßen beherrscht hatten. Deshalb hat sie sich entschlossen, nach Europa zu gehen und dort zu trainieren. Sie hat, weil ihr keine andere Möglichkeit blieb, die klassische Fluchtroute von Somalia, über Äthiopien, den Sudan und Libyen genommen. Dann hat sie mit anderen Flüchtlingen versucht, in einem Schlauchboot Italien zu erreichen. Dabei ist sie leider Gottes ertrunken.
domradio.de: Warum hat Samias Schicksal Sie so gerührt, dass Sie ein Buch daraus gemacht haben?
Kleist: Mich haben dieser starke Willen der jungen Frau und der Traum, den sie verfolgt hat, sehr berührt. Dieser Traum steht für mich symbolisch für viele andere Träume von einem besseren Leben. Dass dieser Traum dann an den Außengrenzen der EU zerschellt, ist sehr erschreckend. Gerade in ihrem Fall ist es sehr erschreckend, weil sie eine Olympionikin ist. Aber es ist kein Einzelschicksal. Die Flucht, die sie versucht hat, passiert täglich tausendfach.
domradio.de: Wie tief sind Sie denn in die Recherche eingestiegen? Haben Sie über Samias Leben mehr geforscht?
Kleist: Das war natürlich alles sehr schwierig, weil es zu dem Zeitpunkt nicht so viel Material über sie gab. Ich habe sehr viel Hilfe von einer amerikanischen Journalistin, Teresa Krug, bekommen. Sie hat mich auch mit der Schwester von Samia bekannt gemacht, die mittlerweile in Helsinki lebt. Wir haben ein sehr langes und intensives Gespräch mit ihr geführt. Ich habe auch sehr viel über die Schwester mitbekommen und was für ein toller Mensch sie gewesen sein muss.
domradio.de: Heute bekommen Sie den katholischen Kinder- und Jugendpreis überreicht. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Kleist: Das bedeutet mir sehr viel. Als ich von der Preisvergabe gehört habe, bin ich fast hinten über gefallen. Damit habe ich nicht gerechnet, weil es nicht nur für mich und mein Buch, sondern auch für das Medium Comic eine Auszeichnung ist. Ich bin schon seit über 20 Jahren in dem Gewerbe und ich habe immer davon geträumt, dass das Medium Comic ernster genommen wird, dass es über die Grenzen hinaus wahrgenommen wird. Das passiert jetzt gerade in den letzten Jahren in Deutschland. Das freut mich enorm, dass mein Buch so wahrgenommen wird, die Stärke der Geschichte dahinter gesehen wird und dass man diese Geschichte mit dem Medium Comic sehr gut transportieren kann.
domradio.de: Ein katholisch wertvoller Comic also?
Kleist: (lacht) Ja, so kann man es sagen.
Das Interview führte Tobias Fricke.