Katholischer Publizist kritisiert Polens Medienpolitik

"Beunruhigende Spielregeln"

Per Gesetz können Programmverantwortliche im nationalen polnischen Rundfunk nach Gutdünken ausgetauscht werden - die europäische Besorgnis ob dieses Handelns wächst. Der katholische Politologe und Publizist Dr. Andreas Püttmann teilt diese Sorge.

Proteste in Polen für freie Medien / © Filip Singer (dpa)
Proteste in Polen für freie Medien / © Filip Singer ( dpa )

domradio.de: Was ist da eigentlich los in Polen?

Dr. Andreas Püttmann (Politologe und Vorstandsmitglied der Gesellschaft katholischer Publizisten): Da macht sich eine Regierungsmehrheit, die sich aber nur auf ein Fünftel der Polen als Wähler stützen kann, den Staat zur Beute. Sie macht auch nicht nur eine andere Politik, sondern sie verändert die Spielregeln der Politik. Das ist das Beängstigende. Die Ausschaltung der dritten und der sogenannten vierten Gewalt, einer effektiven Verfassungsgerichtsbarkeit und unabhängiger Medien wird vollzogen. Und es kommen noch weitere Gesetze zum Wahlrecht, zu den Geheimdiensten, Staatsanwaltschaft hinzu. Das ist nur die Spitze des Eisbergs, über die wir diskutieren.

Gruselig ist aber auch das Verhalten des politischen Personals, wenn man bedenkt, dass ein Kultusminister bei einer kritischen Frage ausfällig wird, die ihm im Fernsehen gestellt wird und sofort der Moderatorin mit Entlassung droht. Weitere Beispiele sind der Außenminister, der Vegetarier und Fahrradfahrer zu Inbegriffen der Fremdherrschaft erklärt oder der Verteidigungsminister, der Verschwörungstheorien verbreitet, die Russen hätten den früheren Präsidenten ermordet oder ein Geheimdienstkoordinator, der zu drei Jahren Haft verurteilt war und jetzt vom Präsidenten begnadigt wird und eine so sensible Aufgabe erhält. Das alles ist schon sehr beunruhigend.

domradio.de: Da kann man sich fragen, warum der Aufschrei der anderen Europäer nicht viel lauter ist?

Dr. Andreas Püttmann: Da spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Zunächst einmal der psychologische Aspekt: Man möchte nicht unbedingt eine nationale Solidarisierung herbeiführen. In Polen ist eine sogenannte Selbst-Viktimisierung, die auch historisch begründet ist, verbreitet, so dass man sehr empfindlich auf Einmischung von außen reagiert. Zweitens will man den Wilden nicht noch reizen. Man hofft auf Mäßigung durch Kooperation, indem sich die Regierung die Hörner schon noch abstoßen wird. Drittens hofft man auf die polnische Zivilgesellschaft. Die Polen haben in der Tat ja selbst die Hauptverantwortung. Weiterhin gibt es Orban als Präzedenzfall, der auf europäischer Ebene auch ein Vetorecht hat, wenn es um Sanktionen gegen Polen geht. Und schließlich sind auch einige westliche Gesellschaften selbst von rechtskonservativem oder rechtspopulistischem Gedankengut affiziert. Die Deutschen haben auch noch eine besondere Rolle wegen der deutsch-polnischen Geschichte und halten sich deswegen zurück. Und alles spielt sich auch noch im Schatten der Flüchtlingskrise ab.

domradio.de: Viele Polen fühlen sich jetzt von Präsident Kaczynski und seinen Parteileuten getäuscht und gehen auf die Straße, um die Demokratie in ihrem Land zu verteidigen. Wie hat sich die katholische Kirche in diesem traditionell katholischen Staat positioniert?

Dr. Andreas Püttmann: Vordergründig hält man sich heraus. Der stellvertretende Sekretär der Bischofskonferenz hat es als nicht notwendig bezeichnet, sich hier einzumischen. Es gibt aber durchaus eine subtile Parteinahme zu Gunsten der Regierung, etwa wenn man das Komitee zur Verteidigung der Demokratie verdächtigt, selbst nicht demokratisch zu sein. Dazu hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz gesagt, es gebe Leute, die die Demokratie an die große Glocke hängen aber selbst am wenigstens demokratisch seien. Oder wenn man friedliche Demonstranten zum Frieden ermahnt, dann merkt man doch, auf welcher Seite die Kirche steht. Es gibt auch offene Unterstützung. Kaczynski hat sich ja selber bei Radio Maria bedankt, ohne die der Wahlsieg seiner Aussage nach nicht denkbar gewesen wäre. Ein Bischof hat auch einen scharfen Brief an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz geschrieben und sich darin über die Kritik des EU-Parlaments beschwert.

Alles in allem hat man schon den Eindruck, dass die Kirche hier die Möglichkeit sieht, ihren gesellschaftlichen Einflussverlust, den sie in den letzten zwanzig Jahren erlitten hat, zu kompensieren, indem man so ein bisschen unter den Rock dieser rechtskonservativen Regierung schlüpft. Das ist natürlich ein riskantes Spiel. Es gibt allenfalls in der Flüchtlingsfrage eine vorsichtige, diskrete Distanzierung. Aber da kann man auch kaum anders, da man ja papsttreu ist und Papst Franziskus zu einer positiven Haltung gegenüber den Flüchtlingen aufgefordert hat. Aber das äußert sich jetzt auch nicht etwa in deutlicher Kritik an der Regierung, sondern eher, indem man die Gemeinden dazu aufruft, Flüchtlingen zu helfen.

domradio.de: Zeigen die katholischen Bischöfe hier ein - diplomatisch formuliert - ziemlich fragwürdiges Demokratieverständis?

Dr. Andreas Püttmann: Es gibt zwei Stränge im katholischen Staatsverständnis. Das eine beurteilt die Staatsqualität danach, welche Ergebnisse der Staat produziert. Wenn das alles schön mit christlicher Moral übereinstimmt, dann ist die Demokratie gut. Das andere, das modernere, was auch durch das Zweite Vatikanische Konzil begründet ist, erkennt auch in einer Ordnung der Freiheit einen ethischen Eigenwert. Dann wird die Demokratie auch unterstützt, wenn einzelne Gesetze aus christlicher Sicht ungerecht erscheinen. Ich glaube, dass sich hier in Polen ein altes, autoritäres Staatsverständnis durchgesetzt hat, dass der Staat ein bisschen als verlängerter Arm der Kirche angesehen wird. Hier wird auch eine Diskussion unter den Bischöfen in Europa zu führen sein, ob es nicht auch so etwas wie eine Theologie der Demokratie gibt, die im christlichen Menschenbild und im Zentralwert der Freiheit begründet ist.

domradio.de: Deutsche als Ratgeber werden in Polen aus historischen Gründen sehr skeptisch gesehen. Welchen Handlungsspielraum haben da jetzt deutsche oder europäische Mahner?

Dr. Andreas Püttmann: Hier kommt es auf die unterschiedlichen Rollen an. Regierungen sind natürlich auch der Diplomatie verpflichtet. Aber die Zivilgesellschaft, freie Bürger und erst recht freie Journalisten können natürlich ihre Freiheit voll ausschöpfen und müssen den Polen beispringen, die sich von dieser Entwicklung überrollt und fremdbestimmt fühlen. Wenn man Europa als große Familie versteht  - und das haben wir doch in den letzten Jahrzehnten so gesehen - dann ist doch völlig klar, dass die Verwandten eingreifen, wenn in einem Teil der Familie etwas aus dem Ruder läuft. Das ist hier keineswegs eine Fremdbestimmung und man darf das schon gar nicht auf eine Ebene "Deutsche gegen Polen" schieben, sondern hier geht es um ein freiheitliches gegen ein autoritäres Verständnis von Gesellschaft. Da stehen große Teile der polnischen Gesellschaft Seite an Seite mit den Zivilgesellschaften anderer europäischer Länder.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR