domradio.de: "In jeder Religion gibt es eine kleine fundamentalistische Gruppe, wir haben auch eine." - so der Papst wörtlich. Und weiter: Wenn er über einen gewalttätigen Islam spreche, müsse er auch über einen gewalttätigen Katholizismus sprechen. Was meinen Sie, ist dieser Vergleich legitim?
Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler, Vorstandsmitglied Gesellschaft katholischer Publizisten): Zunächst einmal ist ein Vergleich ja noch keine Gleichsetzung. Eine Gleichstellung in dem Sinne hat Franziskus nicht vorgenommen: Die müsste man auch noch mal empirisch hinterfragen, aufgrund statistischer und demoskopischer Erhebungen über Gewaltbereitschaft. Aber im Prinzip, denke ich, hat Franziskus Recht, weil er ja auch seine Äußerungen einschränkt: Es geht nicht nur um brachiale physische Gewalt, sondern er sagt, man kann auch mit der Zunge töten. Und da gibt es natürlich auch in der christlichen Religion Leute, die bis heute auch bei uns verleumden, schikanieren, manipulieren und die aus ihrer religiösen Überzeugung eine Rechtfertigung ableiten, andere fertig zu machen. Im Kern ist das eine Versuchung aller Religionen, weil natürlich Religion sehr existenzielle tiefe Bedeutung für den Menschen hat, damit eine hohe Motivation erzeugt und dann ist es natürlich auch leicht zu versuchen, den heiligen Zweck die Mittel heiligen zu lassen. Und natürlich gibt es auch brachiale Gewalt: Wenn Sie daran denken, dass Katholiken in Nordirland noch bis vor wenigen Jahrzehnten gemordet haben, oder, um jetzt mal von der katholischen Konfession etwas zu abstrahieren auf die Christen insgesamt, auch, wenn etwa in Afrika fundamentalistische Christen die Todesstrafe für Homosexuelle fordern. Die Versuchung ist im Prinzip in allen Religionen da.
domradio.de: Wenn er die Zeitungen lese, sehe er "jeden Tag Gewalt in Italien", so Franziskus. Und weiter: "Der eine tötet seine Freundin, der andere tötet seine Schwiegermutter, und das sind alles getaufte Christen." Aber ist das überhaupt Fundamentalismus, kann man das vergleichen?
Püttmann: Nein, das kann man nicht vergleichen. Also eine Tat, die aus religiöser Motivation erfolgt, ist natürlich in ganz anderer Weise mit der Religion in Verbindung zu bringen als eine Tat, die trotz einer religiösen Überzeugung oder einem religiösen Glauben von oder auch nur von formalen Mitgliedern dieser Religion oder Konfession verübt wird. Dass alle Menschen Interessen, Triebe, Affekte haben, die sie dazu bringen können, unmoralisch zu handeln, das ist sozusagen ein allgemein menschliches Phänomen – und nicht jede Gewalttat eines Katholiken ist schon eine katholische Gewalttat. Das gilt übrigens auch für Moslems.
domradio.de: Welche Rolle spielt denn wohl, dass er diese Bemerkungen zu katholischen Fundamentalisten ausgerechnet auf dem Rückweg von Polen gemacht hat, wo ja ein großer Teil der Bischöfe in der Nähe der rechtspopulistischen Regierung steht?
Püttmann: Ich glaube eher, dass die Terroranschläge in der letzten Zeit Anlass für diese Äußerungen waren und dass er jetzt nicht gerade die sicherlich nicht gerade durchweg erfreulichen Erfahrungen im polnischen Katholizismus da zur Ursache seiner Äußerung machte. Allerdings muss man sagen, wenn die polnische, die nationalkatholische Regierung etwa das Verfassungsgericht angreift und lahmlegt, dann ist das natürlich auch eine Form von Gewalt, und zwar die Gewalt, die sich nicht mehr an das Recht hält. Der entscheidende Sprung ist ja der vom Recht zum Unrecht, zur Willkür. Und der Sprung vom geistigen oder politischen Rechtsbruch zur Anwendung von Gewalt ist meines Erachtens sogar ein kleinerer… Hier gibt es also auch radikale, so genannte nationalkatholische Kräfte, die bereit sind, rechtliche und damit auch ethische Normen zu überspringen. Insofern gibt es einen gewissen Zusammenhang. Aber ich würde jetzt nicht so weit gehen zu sagen, jetzt wollte der Papst dem Gastland des Weltjugendtages beziehungsweise bestimmten Kräften dort noch einmal eins überbraten.
Das Interview führte Silvia Ochlast.