domradio.de: Einerseits sprechen Gruppen wie AfD und PEGIDA gerne vom christlichen Abendland, wenn es aber um die wirkliche religiöse Prägung geht, sieht es anders aus. Pfarrer und Priester werden mitunter sogar zu Zielen der Rechten. Das sei auch nachvollziehbar, denn Christen seien eine, wie Sie sagen "natürliche Zielscheibe für Nazis". Warum das denn?
Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Katholischer Publizist): Weil es einen tiefen ideologischen Grund gibt. Die Rechtsextremen folgen der Idee der Ungleichwertigkeit der Menschen, rassischer Überlegenheit, völkischer oder kultureller Homogenität und Abschottung sowie eines sozialdarwinistischen Kampfes, bei dem sich der Stärkere durchsetzen müsse. Das Christentum sagt exakt das Gegenteil. Die Menschen sind als Ebenbilder Gottes fundamental gleich. Die Kirche hat einen universalistischen Ansatz von der Einheit des Menschengeschlechts, und besondere Empathie verdienen die Schwachen.
Dazu kommen noch habituelle Unterschiede. Die Kirche lehrt Demut und Selbstkritik. Die Rechten kennzeichnet dröhnendes Selbstbewusstsein bis zur Hybris. Das Christentum entbindet Gelassenheit. Die Rechten lieben die Dauerdramatisierung.
Man könnte sich eigentlich kaum größere Gegensätze vorstellen.
domradio.de: Wir sprechen über das ganze Thema, weil die ARD am Montagabend die Dokumentation "Kreuz ohne Haken" ausgestrahlt hat. Es geht unter anderem um einen Fall in Dortmund, wo Rechtsradikale einen Kirchturm besetzt haben. Aber steckt da nicht ein grundsätzlicher Widerspruch drin? Gegen Kirchen vorgehen und dann vom "Christlichen Abendland" sprechen?
Püttmann: Eine Differenzierung zwischen Kirche und Christentum kennen wir ja auch von den Linken. Da gab und gibt es ja auch Strömungen, die gerne sagten: "Jesus ja, Kirche nein". Kirche als reaktionäre Organisation werde abgelehnt. Aber eine marxistisch inspirierte Christlichkeit im Sinne mancher Art von Befreiungstheologie, wird doch als gut erachtet.
Man muss hier einfach sehen, dass das Christentum auch als bloßer Identitätsmarker und Ordnungsfaktor missbraucht werden kann. Es gibt dieses autoritäre Verständnis von Christentum - auch innerhalb der Kirche -, wo man im Grunde nur einen Kult um das Eigene in Abgrenzung zum Anderen und Fremden betreibt.
Diese Art, das Christentum zu verzerren und zu instrumentalisieren, eignet sich für die Rechten ganz gut zur Propaganda.
domradio.de: Sind denn dann auf der anderen Seite Übergriffe wie auf den Kirchturm in Dortmund Einzelfälle, oder passiert das häufiger?
Püttmann: Das passiert schon häufiger. Ich selbst habe etwas Ähnliches auch schon erlebt. Das hat eine breite Skala von Drohbriefen über Telefonterror oder die inzwischen sehr verbreiteten Verleumdungen im Internet - da gibt es auch eine katholische Fraktion, die sehr eifrig darin ist - bis hin zu mit falscher Email-Anschrift georderten Paketen mit gar nicht bestellter Ware oder handfesten Angriffen. Dies hat der Film ja auch thematisiert, wo Pfarrer zusammengeschlagen wurden, Pfefferspray-Attacken ausgesetzt waren oder sogar Brandanschläge auf ihr Haus erleiden mussten. Da gibt es eine breite Klaviatur.
Wie viele Fälle das sind, ist meines Erachtens noch nicht gezählt worden. Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn die Kirchen dies einmal zusammenfassen würden.
domradio.de: Wenn man sich nun einmal versucht in die andere Seite hineinzuversetzen: Angenommen man wäre AfD-Anhänger, hätte die Meinung, dass Flüchtlingspolitik in Deutschland nicht so läuft wie es sollte, dann würde man sich von der eigenen Kirche nicht vertreten fühlen. Ist das nicht ein legitimes Argument von Menschen im konservativen oder rechten Bereich?
Püttmann: Zunächst einmal muss man diesen Menschen zum Trost sagen, dass die Kirche auch viele Konflikte mit Linken und Liberalen hat. Denkt man nur an die Bioethik, die sogenannte "Ehe für alle", den Sonntagsschutz, die Rolle der Frau als Mutter oder an das eigenständige kirchliche Arbeitsrecht, dann kann man in vielen Bereichen wahrlich nicht von linksgestrickten oder nur liberalen Kirchen sprechen.
Was die Flüchtlingspolitik angeht, muss man eine grundsätzliche und eine operative Ebene unterscheiden. Im Grundsatz ist es so, dass die Kirche für Flüchtlingshilfe sein muss, sonst verrät sie ihren Auftrag. Die Haltung, man nehme grundsätzlich keine Flüchtlinge auf, kann die Kirche nicht akzeptieren. Da nützt es auch nichts, wenn man selber Kirchenmitglied ist. Es gibt keinen Anspruch eines Kirchenmitglieds darauf, dass die Kirche die eigene persönliche Position irgendwie mit zur Geltung bringt. Kirche hat dem Heiligen Geist zu folgen und nicht dem Spleen jedes einzelnen Mitglieds.
Aber es gibt auch die operative Ebene, die in Bezug auf die Flüchtlingspolitik aus der Sicht der christlichen Sozialethik sagt, man müsse Abwägungen treffen. Es können natürlich nicht alle Flüchtlinge, die es wollen, nach Deutschland kommen. Es darf auch keinen Vorteil für robustere Migranten geben, die uns, indem sie in See stechen, nötigen können sie aufzunehmen. Es muss sachliche Kriterien geben.
Und der Vorbehalt des gesellschaftlichen Friedens muss beachtet werden. Eine Gesellschaft muss auch integrieren können und in der Demokratie dazu bereit sein. Insofern kann man bei der Flüchtlingspolitik im Einzelnen als Katholik durchaus unterschiedliche Positionen beziehen, aber den Grundsatz müssen die Bischöfe verteidigen, dass wir unsere Kräfte bis zum Äußersten anstrengen müssen, um Flüchtlingen zu helfen.
domradio.de: Kann man denn diesen ganzen Grundkonflikt umgehen, wenn sich die Kirche einfach aus der Politik raushält? Es gibt ja auch Stimmen, die dies fordern.
Püttmann: Das können wir keineswegs. Schon im Alten Testament sagt Jeremia (29,7): "Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgehet, so gehet es euch auch wohl." Also gibt es ein Eigeninteresse der Kirche an stabilen, guten politischen Verhältnissen. Im Vater Unser beten wir: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden". Das heißt, wir dürfen die Welt nicht sich selbst überlassen. Petrus und Paulus fordern zu Gebet und Loyalität für die Obrigkeit auf. Das Konzil sagt, wir beanspruchen als Kirche auch, unsere politische Meinung zu sagen, wenn die Grundrechte der Person oder das Heil der Seelen es verlangen, und wir ermutigen ausdrücklich zum ehrenwerten Beruf des Politikers.
Wenn man es historisch betrachtet, dann wären wir doch froh, wenn die Kirchen noch stärker gegen den Nationalsozialismus protestiert hätten. In Ausnahmesituationen muss man sogar als Bischof gegen eine bestimmte Partei Stellung beziehen. Jahrzehntelang ist den Kirchen - ich meine teilweise zu Unrecht - vorgeworfen worden, da nicht genug getan zu haben. Und jetzt kommt von rechts wieder diese alte Propagandaphrase vom politischen Klerikalismus auf. Da gibt es natürlich einzelne Ausreißer, aber im Grundsatz muss eine Kirche, wenn sie sich um den Menschen sorgt, auch politisch sein.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.