An diesem Dienstag will die Gewerkschaft Verdi in Weingarten im Bodenseekreis Beschäftigte über eine eventuell anstehende Tarifauseinandersetzung informieren.
Das hätte außer für die direkt Betroffenen keine größere Bedeutung. Im konkreten Fall verhält es sich indes anders: Denn es geht um die katholische Stiftung Liebenau, die die innerkirchlichen Tarifstrukturen umgehen und lieber mit einer Gewerkschaft die Bezahlung ihrer Angestellten aushandeln will - obwohl kirchliche Arbeitgeber meist auf ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht pochen, das Thema Arbeitsverträge selbst zu regeln. Im sogenannten Dritten Weg.
Geschichte mit Vorlauf
Die Geschichte hat einen Vorlauf: Nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen dem Bistum Rottenburg-Stuttgart und dem Land hatte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof 2009 entschieden, dass die Stiftung kirchlich ist und der Rechtsaufsicht des Bischofs untersteht.
Prälat Michael Brock wurde als Vorstand in die Liebenau entsandt, und viele hatten mit ihm die Hoffnung verbunden, dass der Sozialkonzern mit seinen heute rund 7.500 Mitarbeitern in etwa 300 Einrichtungen wieder komplett die kirchliche Tarifstruktur übernimmt.
In diesem Fall die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes, kurz: den AVF-Tarif.
Nach achtjährigen zähen, letztlich vergeblichen Gesprächen kam es am Jahresende 2018 für drei Liebenau-Tochtergesellschaften zum Bruch mit den AVR-Strukturen. Auch weil das Bistum die Ausnahmegenehmigung - kirchlicher Betrieb ohne kirchliche Bezahlstruktur - nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag verlängern wollte. Die Liebenau kündigte daraufhin an, mit Verdi zu verhandeln. Vor allem geht es um die Tochter "Liebenau Leben im Alter" (LiLa) mit rund 800 Angestellten.
Für die Gewerkschaft zunächst keine einfache Situation, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Pflegebereich meist sehr gering ist.
Verdi verspricht sich einiges, investierte Zeit und Geld und gewann nach eigenen Angaben im vergangenen Vierteljahr in den 18 LiLa-Einrichtungen rund 150 neue Mitglieder. Der Bitte der Liebenau um Tarifverhandlungen wurde entsprochen. "Irritiert" war die Gewerkschaft, als sich die Liebenau vor ein paar Wochen "offen für Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft Verdi, aber auch für Gespräche mit den Partnern im kirchlichen Dritten Weg" zeigte. Die Nachfrage der KNA, mit wem die Liebenau lieber sprechen wolle, beantwortete die Stiftung so: "Entscheidend ist, dass am Ende dieser Verhandlungen Einvernehmen über ein Vergütungssystem innerhalb der Liebenau Leben im Alter erzielt wird."
Als ausgeschlossen gilt, dass sich die Verdi-Vertreter und die kirchlichen Mitarbeitervertreter, von denen viele selbst Gewerkschafts-Mitglieder sind, jetzt von der Liebenau gegeneinander ausspielen lassen und Dumping-Angebote für eine Einigung machen - auch wenn beide Parteien eigene Interessen für einen Abschuss haben.
Zu hören ist, "dass beide Seiten sehr gut kooperieren". Ob das der Stiftung immer bewusst war? Unter Druck steht nun vor allem die Dienstgeberseite innerhalb der paritätisch besetzten Kommissionen des Dritten Weges. Von ihnen stammt ein Gesprächsangebot an die Liebenau mit der Idee, vielleicht über eine Art Stufenplan wieder in den Dritten Weg zurückzukehren.
Die Wellen aus dem Bodenseeraum schwappen inzwischen bis nach Berlin.
Zwei Punkte zentral: Tarife und Altersversorgung
Denn durch den Aufruf eines großen konfessionellen Trägers zu Tarifverhandlungen sehen dort nicht wenige den Dritten Weg beschädigt. Kritiker nutzen Fälle wie den der Liebenau für den Vorwurf, die Kirche wende ihr spezielles Arbeitsrecht nur an, wo es ihr passt. Entsprechend stark entfaltet sich mittlerweile der Druck auf Brock. Für die Verhandlungen scheinen vor allem zwei Punkte zentral: Tarife und Altersversorgung.
Die Beteiligten widersprechen sich in ihren Einschätzungen, ob die jetzt gezahlten Löhne unter oder über den Summen des Verdi-Tarifvertrages sowie unter oder über den AVR-Tarifen liegen.
Besonders kompliziert wirkt die Situation in den unteren Lohngruppen, etwa für hauswirtschaftliche Angestellte. Einvernehmen besteht darüber, dass die Altersvorsorge derzeit völlig unzureichend erscheint.
Das Modell der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse (KZVK) lehnt die Liebenau strikt ab. Es sei zu teuer und biete zu wenig. Verdi zeigt sich von den ganzen Diskussionen unbeeindruckt und mit Blick auf einen Tarifabschluss "voll und ganz davon überzeugt, dass wir das schaffen". Für manche mag das wie eine Drohung klingen.