KNA: Herr Kreller, der Einzelhandel in Deutschland plant eine neue Initiative zur Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten an Sonntagen und will dazu zu Runden Tischen einladen. Werden Sie sich als Allianz für den Sonntag daran beteiligen?
Hannes Kreller (Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmerorganisationen): Wir würden mitmachen, aber nur, um dort für die Bedeutung des arbeitsfreien Sonntags zu werben. Wir sind aber nicht bereit, den Sonntagsschutz weiter aufzuweichen. Seit Jahren vollzieht sich eine schleichende Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes. Immer mehr Bereiche werden vereinnahmt. 2015 arbeiteten laut Statistischem Bundesamt etwa 13 Prozent der Arbeitnehmer ständig oder regelmäßig sonntags. Gerade heute ist ein gemeinschaftlicher Tag der Ruhe, der Gemeinschaft, der Befreiung von Sachzwängen, Fremdbestimmung und Zeitdruck unverzichtbar.
KNA: Wie sehen Sie die juristische Lage?
Kreller: Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 eindeutig entschieden, dass der freie Sonntag ein Grundrecht ist, das auch andere Grundrechte wie Religionsausübung, Ehe und Familie oder Gesundheit und gesellschaftliches Engagement schützt. Die Richter haben klar betont, dass das Grundgesetz den Sonntag im Grundsatz arbeitsfrei halten will. Ausnahmen kann es nur aus gewichtigem Grund geben.
KNA: Was wäre so ein Grund?
Kreller: Etwa, wenn es traditionelle Märkte oder Messen in einer Stadt gibt. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2015 entschieden, dass die verkaufsoffenen Sonntage lediglich als Begleiterscheinungen solcher Ereignisse stattfinden dürfen. Inzwischen aber gehen immer mehr Städte und Gemeinden über, Anlässe für verkaufsoffene Sonntage zu schaffen, die oft an den Haaren herbeigezogen sind.
KNA: Können Sie ein Beispiel nennen?
Kreller: Beispielsweise hat die Stadt Frankfurt im vergangenen Herbst die Buchmesse zum Anlass genommen, um eine Sonntagsöffnung im gesamten Stadtgebiet zu erlauben. Die KAB und Verdi haben erfolgreich dagegen geklagt.
KNA: Laut Verdi haben inzwischen mehr als 110 solche Verfahren gegen Sonntagsöffnungen in Kommunen stattgefunden. Die meisten erfolgreich für die Kläger...
Kreller: Die Gerichte haben meist sehr eindeutig geurteilt, was die Arbeitgeber und den Handel natürlich mächtig aufregt. Wenn wir da nicht aufpassen, gäbe es kein Halten für den Sonntagsschutz mehr. Manche Städte sind beispielsweise dazu übergegangen, Anlässe auch in einzelnen Stadtbezirken zu schaffen. Das hätte dann etwa für Köln über 60 bezirksbezogene Sonntagsöffnungen in einem Jahr ermöglicht.
KNA: Aber haben Sie kein Verständnis dafür, wenn Kommunen etwas für die Belebung ihrer Innenstädte tun wollen?
Kreller: Natürlich ist das ein legitimes Ziel. Aber in den meisten Bundesländern sind ja auch vier verkaufsoffene Sonntage erlaubt. Wenn man die Schleusen weiter öffnet, könnte das zu einem Wettlauf der Besessenen führen, weil jede Kommune den Konkurrenzkampf aufnehmen müsste. Das würde zu einer völligen Entwertung des Sonntags führen.
KNA: Stellen Sie sich nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung?
Kreller: Gesagt wird immer, die Menschen wollten solche Sonntagseinkäufe. Tatsächlich lehnten in Münster die Einwohner im November 2016 eine vom Rat beschlossene Ausweitung der verkaufsoffenen Sonntage mehrheitlich ab.
KNA: Auch zwischen den Bundesländern gibt es ja Standortkonkurrenz...
Kreller: Die Länderkonkurrenz treibt den Abbau des Sonntagsschutzes voran. Deshalb fordern wir eine bundesweit einheitliche Regelung der Ausnahmen für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung. Die Rechtsaufsicht soll auf Behörden übertragen werden, die kein eigenes Interesse an den wirtschaftlichen Auswirkungen haben können. Insbesondere im Bereich des Ladenschlusses ist eine Aufsicht auf der Ebene der Gemeinden wirkungslos.