Katholisches Büro NRW zum Umgang mit Gefährdern

"Verhältnismäßigkeit wahren"

Als Konsequenz aus dem Anschlag in Berlin fordern viele Bundespolitiker eine härtere Gangart gegen so genannte Gefährder - sogar der Einsatz von Fußfesseln ist im Gespräch. Das Katholische Büro NRW warnt aber vor Aktionismus.

In der Diskussion: Fußfessel für Gefährder / © Fredrik von Erichsen (dpa)
In der Diskussion: Fußfessel für Gefährder / © Fredrik von Erichsen ( dpa )

domradio.de: Der Berliner Anschlag hat viele verunsichert; sie verstehen nicht, warum der Attentäter Anis Amri den Behörden bekannt war, aber nicht gestoppt werden konnte. So etwas schürt Ängste. Was sagen Sie als katholischer Seelsorger? Wie soll man mit solchen Ängsten umgehen?

Dr. Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros NRW): Indem man sie zunächst einmal ernst nimmt. Wir können nicht einfach sagen, dass so eine Angst unbegründet ist. Wir müssen diese Angst also ernst nehmen und dann mit den politischen Verantwortlichen überlegen, wie wir auf eine solche Furcht angemessen reagieren. Welche politischen oder rechtlichen Maßnahmen können wir ergreifen, um den Menschen nicht nur ein Sicherheitsgefühl zu geben, sondern auch eine objektiv gegebene Sicherheit zu garantieren?

domradio.de: Da sind also so genannte Gefährder, Menschen, von denen potenziell Gefahr für uns alle ausgeht. Wie kann, wie muss ein Rechtsstaat gegen solche Leute vorgehen?

Hamers: Umso vielfältiger und umso pluralistischer unsere Gesellschaft wird, umso weniger selbstverständlich ist es, dass wir einen gesellschaftlichen Konsens haben. Umso wichtiger ist es wiederum, dass unsere rechtlichen Grundlagen und die entsprechenden Rechtsvorgaben eingehalten werden. Der Staat muss also dafür sorgen, dass das Recht auch befolgt wird. Dafür gibt es die Sicherheitsbehörden, dafür gibt es eine Exekutive, eine ausführende Gewalt, die dafür sorgt, dass das Gesetz angewandt und durchgesetzt wird. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Aspekt ist, gerade in der aktuellen Lage, bei der Diskussion um die Sicherheit in unserem Land.

domradio.de: Wir diskutieren Maßnahmen wie Fußfesseln und längere Abschiebehaftzeiten. Aber: Auch Gefährder sind und bleiben natürlich Menschen mit Würde - was folgt aus katholischer Perspektive daraus?

Hamers: Was auch immer ein Mensch getan hat, seine Menschenwürde bleibt. Deshalb ist bei jeder staatlichen Maßnahme gegen einen Menschen immer Maß zu nehmen am Artikel eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das steht völlig außer Frage. Zugleich gilt aber auch: Wenn von jemandem eine objektiv feststellbare, nachvollziehbare Gefahr ausgeht und diese von entsprechenden Sicherheitsbehörden geltend gemacht wird, muss man auch gegen einen solchen Menschen vorgehen können. Dann muss man diese Gefahr nach Möglichkeit bannen. Denn Würde und Unverletzlichkeit der Person steht ja auch den anderen Menschen zu, nicht nur dem Gefährder.

Wir müssen also nach Verhältnismäßigkeit streben und darauf achten, auch die Rechte eines solchen Gefährders zu wahren. Das heißt zum Beispiel, wenn jemand als Gefährder eingestuft wird, muss auch er die Möglichkeit bekommen, auf Rechtswegen, gegen diese Einstufung vorzugehen. Dann muss die Einstufung überprüft und unter Umständen auch wieder aufgehoben werden. Auch damit einhergehende Maßnahmen wie zum Beispiel eine Fußfessel müssen unserem rechtlichem Anspruch genügen, rechtlich überprüfbar sein. Das ist wichtig: Es darf keinen Raum für Willkürlichkeit geben.

domradio.de: Sie sitzen im katholischen Büro an der Schnittstelle zwischen Politik und Kirche. Wie schätzen Sie das ein - reicht unsere Abschiebungsgesetzgebung - oder sollte sie in der Tat verschärft werden?

Hamers: Es gibt offensichtlich gute Anhaltspunkte dafür, dass unsere Gesetze ausreichen. Aber wenn Sicherheitsbehörden zu dem Ergebnis kommen, dass an der ein oder anderen Stelle gesetzliche Regelungen verschärft oder geändert werden müssen, dann muss das politisch diskutiert werden: Ist das gut und richtig, wird das wirklich zum Erfolg führen? Es kann nicht sein, dass im Rahmen eines gesetzgeberischen Aktionismus irgendwelche Regeln aufgestellt werden, die letztlich nicht durchgehalten werden können oder die überflüssig sind, weil bestehende Regeln einfach nur angewendet werden müssten. Das müssen Experten erörtern und schauen, ob die aktuelle Rechtslage ausreicht. Das ist aber letztlich eine Diskussion unter Fachpolitikern.

domradio.de: Wie sehen Sie die Rolle der Kirche - inwieweit sollte sie sich in die Diskussion miteinbringen?

Hamers: Christen sind immer dazu gehalten, sich in politische Diskussionen mit einzubringen. Wir dürfen dabei allerdings nicht den Eindruck einer moralischen Überinstanz vermitteln; das hielte ich für falsch. Aber wir müssen unsere Vorstellungen - unsere Vorstellungen vom Menschen, unsere Vorstellungen davon, wie gemeinsames Leben funktionieren kann, unsere Vorstellungen, wie gutes Recht nicht nur gesetzt, sondern auch angewendet wird – mit in die Diskussion mitbringen. Wir sind eine plurale Gesellschaft, wir sind eine Demokratie. Und eine Demokratie lebt davon, dass Menschen sich miteinbringen, diskutieren, sich ihrer demokratischen Möglichkeiten auch bedienen, etwa zur Wahl gehen, sich an Diskussionen beteiligen und die eigene Meinung sagen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt und da steht es uns als Kirchen und als Christen natürlich auch gut an, uns mit einzumischen und uns zu Wort zu melden.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch


Pfr. Dr. Antonius Hamers / © Achim Pohl
Pfr. Dr. Antonius Hamers / © Achim Pohl
Quelle:
DR