Eine unförmige Waschbetonmauer reiht sich an die andere, düster und asymmetrisch - so wirkt die Kölner Kirche Sankt Gertrud auf Passanten. "Nicht schön, aber selten", sagt eine Anwohnerin der Krefelder Straße, wo das Gotteshaus steht. "Irgendwie mag ich den Bau aber doch" , räumt sie ein. Und die Frau mit ihrem etwa zehnjährigen Kind ist nicht die Einzige.
Was ist es, das eine Kirche aus den 1960er Jahren auszeichnet? Was macht sie auch für diejenigen besonders, die sonst eigentlich nichts mit Kirche am Hut haben. Die Faszination, die moderne Kirchen versprühen, hat auch Ursula Kleefisch-Jobst und Karen Jung gepackt. Zusammen haben sie für das Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW (M:AI) in der Sankt Gertrud Kirche eine Ausstellung über diese Art von Architektur entworfen. "Fluch und Segen. Kirchen der Moderne", heißt sie. Ab diesem Montag bis zum 10. November ist sie für Besucher offen.
Profanierung nur als letzter Ausweg
Ein Ausstellungsteil zeigt in Text und Bild rund 20 Projekte, bei denen Kirchengebäude nicht mehr als Gottesdienstraum dienen und für andere Nutzungen umgestaltet wurden. Besonders im Fokus steht hier die Frage, wie mit Innenstadt-Kirchen umgegangen wird. "Ob Umnutzung oder nur eine Verkleinerung des sakralen Raumes, es ist vieles möglich", so die Ausstellungsmacher.
Wenn die Gebäude überhaupt nicht mehr als Gotteshaus genutzt werden, kommt es zur sogenannten Profanierung. Für viele Gemeinden ist das aber "der letzte Ausweg". Manchmal folgt ein Umbau zum Konzertsaal oder zur Bibliothek. Ein anderes Beispiel ist Sankt Peter in Mönchengladbach: Im 13 Meter hohen Innenraum stehen jetzt Kletterwände.
Drastischer Rückgang genutzter Kirchen erwartet
In NRW gibt es laut Kuratorin Jung rund 6.000 christliche Kirchen, von denen in den nächsten Jahren etwa 30 Prozent nicht mehr als Gottesdienstraum genutzt würden. Gründe dafür seien unter anderem der demografische Wandel und ein geringerer gesellschaftlicher Einfluss der beiden großen Kirchen mit ihren deutschlandweit etwa 45.000 Gotteshäusern. Tendenziell seien es mehr katholische als evangelische Kirchengebäude.
"Der Bezug der heutigen Gesellschaft zu den Kirchen wandelt sich", so Jung. Gotteshäuser seien für die Menschen heute als Rückzugsraum wichtig. Dort spiele Achtsamkeit eine große Rolle. "Hier ist eigentlich ein selten gewordener Ort in unserer schnelllebigen Gesellschaft: Kaum Handyempfang, Ruhe und ein Gefühl von Sicherheit."
Kirchen als wichtiger Teil des Stadtbildes
Ungenutzte Kirchen verschwänden mehr und mehr aus Dörfern, Städten und Siedlungen, sind die Kuratorinnen überzeugt. "Der Umgang mit diesem christlichen Erbe hat sich zu einer gesellschaftlichen Diskussion entwickelt", meint Kleefisch-Jobst. Mit ihren Zinnen, Türmchen und dem Glockengeläut machten Kirchengebäude einen "wichtigen Teil einer Stadt und ihres jeweiligen Charakters aus". Köln ohne seinen Dom wäre "schlicht unvorstellbar".
Die Ausstellung nimmt das Kircheninnere wie den Gemeinderaum und den Altarbereich in den Blick. Exemplarisch erklärt sie Funktion und Geschichte der Ausstattung, darunter von Altar, Taufbecken und Tabernakel. Grafische Elemente, Fotos, kurze Erläuterungen und Zitate werden dazu an die Wände projiziert. Besucher können die Texte in Sprechblasen lesen. Diese sind dem Umriss eines auf den Kopf gestellten Autobahnkirchen-Emblems nachempfunden.
Kirche als Ort für Kulturveranstaltungen
Der Ausstellungsort, die Kirche Sankt Gertrud, stammt aus dem Jahr 1965. Das vom Architekten Gottfried Böhm im Stil des Brutalismus erbaute Gotteshaus hat eine Fassade aus Sicht- und Waschbeton. "Hier können die Besucher viele Facetten moderner Bauart sozusagen in einem Exponat selbst erleben", erklärt Kleefisch-Jobst. Dies sei "zu allen Zeiten eine gestalterische Herausforderung für Architekten" gewesen.
Sankt Gertrud wurde 2010 mit anderen Gemeinden zusammengeschlossen. Die Kirche dient nach wie vor als Ort des Gebetes, aber längst auch für Kulturveranstaltungen. Eine Mischform aus religiöser und anderer Nutzung. Für die Anwohnerin gehört sie in ihrem Veedel einfach "mit dazu". Es sei "immer tröstend zu wissen: Da ist ein Ort, wo ich für mich sein kann".