Die Bergbauregion Minas Gerais kommt nicht zur Ruhe. Am Sonntagmorgen ordneten die Behörden die Evakuierung weiterer Teile der Stadt Brumadinho in Südbrasilien an. Der Damm eines zweiten Schlammbeckens drohe zu brechen. Am Freitag war ein Becken der Eisenerzmine "Feijao" des brasilianischen Bergbauunternehmens Vale gebrochen, eine Schlammlawine stürzte talabwärts. Bisher wurden 37 Leichen geborgen, 250 Menschen werden vermisst. Die Hoffnungen, sie lebend zu finden, sind minimal.
"Wir werden jetzt nur noch Leichen bergen können", sagt der Gouverneur von Minas Gerais, Romeu Zema. Aus einem von Schlammmassen begrabenen Autobus konnten nur noch Leichen geborgen werden.
Angehörige warten verzweifelt auf Nachrichten, manche suchen auf eigene Verantwortung nach Überlebenden. Nebel verzögerte am Sonntagmorgen die Wiederaufnahme der Rettungsarbeiten. Der Luftraum wurde gesperrt; nur Rettungshubschrauber dürfen dort nun fliegen.
12 Millionen Kubikmeter Schlamm
Gegen 5.30 Uhr (Ortszeit) schrillten am Sonntag in Brumadinho die Alarmsirenen. Teile der Stadt wurden von den Behörden evakuiert, nachdem Messungen an Becken "Barragem 6" des Minenkomplexes einen weiteren Dammbruch nahelegten. Die Sucharbeiten, die am Samstag um 20 Uhr wegen Dunkelheit eingestellt worden waren, konnten daher nicht wie geplant um 4 Uhr in der Früh wieder aufgenommen werden.
Am Freitag war gegen 13 Uhr das Abraumbecken "Barragem 1" gebrochen. Es war 2015 stillgelegt worden, dort lagerten rund 12 Millionen Kubikmeter Schlamm. Die Schlammwelle überflutete zwei kleinere Auffangbecken, die überliefen, darunter "Barragem 6", das nur eine Kapazität von einer Million Kubikmeter habe. Das Unternehmen Vale pumpt seit Freitag Wasser aus diesem Becken ab, um den Bruch des Dammes zu verhindern.
Noch ist unklar, wieso das Becken mit dem Eisenerzschlamm geborsten ist. Nachdem der deutsche TÜV Süd im September nach einer Untersuchung grünes Licht gegeben hatte, erhielt die Anlage im Dezember eine neue Betriebsgenehmigung. Seit 2015 werde kein neuer Schlamm in das Becken eingelassen, hieß es.
Erzbischof: Beispiel für die Gier der Bergwerksindustrie
Umweltschützer sprechen jedoch von bereits vorher bekannten Risiken an dem Damm. Man habe seit langem auf die Probleme hingewiesen.Generalanwalt Andre Mendonca bestätigte, dass die Verantwortung für die Katastrophe bei Vale liege. Dies habe zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen, so Mendonca. Die staatliche Umweltbehörde Ibama stellte dem Konzern wegen diverser Vergehen am Samstag fünf Strafen zu jeweils 50 Millionen Real (11,6 Millionen Euro) aus. Auch die Behörden des Teilstaates Minas Gerais belegten das Unternehmen mit Umweltstrafen.
Das Unglück sei ein weiteres Beispiel für die Gier der Bergwerksindustrie, sagte der Erzbischof von Belo Horizonte, Walmor Oliveira de Azevedo, am Samstag. Angesichts der Zerstörung von Menschen und Umwelt müsse dringend über nachhaltigere Entwicklungsmodelle nachgedacht werden. Belo Horizonte ist die Hauptstadt von Minas Gerais.
Bereits im November 2015 hatte sich hier rund um die Stadt Mariana eine ähnliche Tragödie abgespielt. Nach dem Dammbruch eines Abraumbeckens der Vale-Tochterfirma Samarco starben 19 Menschen. Über 650 Kilometer wurden Flüsse durch den Schlamm verunreinigt. Noch immer warten Tausende Betroffene auf zugesagte Entschädigungen. Zwar waren Samarco, Vale sowie der australische Anteilseigner BHP Billiton zu Milliardenstrafen verurteilt worden. Doch die Prozesse ziehen sich in die Länge.
Kontrollen nicht umgesetzt
Die nach dem Unglück von Mariana versprochene verbesserte Kontrolle von Abraumbecken wurde bisher nicht von der Politik umgesetzt. Weiterhin haben die Umweltbehörden nicht genug Spezialisten, um die landesweit Hunderten als Risikofälle eingestuften Abraumbecken zu kontrollieren.
Brasiliens neuer Präsident Jair Messias Bolsonaro, der am Samstagmorgen die Unglücksregion überflog, will stattdessen die Kompetenzen der Umweltbehörden einschränken. Diese behinderten mit ihrer "Strafzettel-Industrie" die wirtschaftliche Entwicklung. Unter anderem will Bolsonaro indigene Reservate und Naturschutzgebiete für den Bergbau öffnen.
Für Sonntagabend war das Eintreffen von 120 israelischen Spezialisten angekündigt. Die Ärzte und Ingenieure seien mit modernstem technischen Gerät ausgestattet, mit dem Menschen in bis zu zehn Metern Tiefe aufgespürt werden könnten, berichteten Medien. Auch Spürhunde seien an Bord der israelischen Maschine.
Von Thomas Milz