Die jahrelangen Untersuchungen zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Belgien münden nicht in einen großen Prozess. Diesen Beschluss teilte die Ratskammer in Brüssel am Montag mit. Im Rahmen der sogenannten "Operation Kelch" war seit 2010 gegen 68 Geistliche ermittelt worden, darunter den früheren Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe (88). Sie sollen in der Vergangenheit teils über Jahre Minderjährige missbraucht haben. Die Kirche zeigte sich zufrieden mit dem Gerichtsbeschluss, Opfervertreter äußerten sich enttäuscht.
37 der Verdächtigten seien schon gestorben, 4 seien bereits verurteilt; bei den 27 übrigen seien die Straftaten verjährt, weil sie zu lange zurücklägen, befand die Ratskammer laut belgischen Medienberichten. Die mutmaßlichen Täter könnten also nicht mehr vor Gericht gestellt werden. Gegen die Entscheidung der Brüsseler Ratskammer kann noch Berufung eingelegt werden.
Der Anwalt des Erzbistums Mechelen-Brüssel, Fernand Keuleneer, sprach von einer ausgewogenen und gut begründeten Entscheidung. Die Bischofskonferenz betonte in einer öffentlichen Erklärung, man habe voll und ganz mit den Behörden kooperiert, "ohne Fakten zu verbergen".
"Moralische Verantwortung"
Zugleich äußerten die Bischöfe erneut ihr Mitgefühl. In der Kirche werde man weiter ein offenes Ohr für die Opfer haben und moralisch gegen Missbrauch vorgehen. Nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit seien die Taten vor Gericht zwar verjährt, heißt es in ihrer Erklärung. Die katholische Kirche übernehme aber "eine moralische Verantwortung, indem sie den Opfern zuhört und ihr Leid anerkennt".

Opfervertreter und ihre Anwälte kündigten eine gründliche Prüfung einer möglichen Berufung an. Sie äußerten sich über belgische Medien sehr enttäuscht. Nicht einmal die Hoffnung auf eine Anerkennung ihrer Opferrolle habe sich erfüllt.
Der pensionierte Priester und Opferbegleiter Rik Devillé erklärte: "Der Schmerz der Opfer ist nun noch größer geworden"; und: "Sie müssen wieder einmal ohne Gerechtigkeit weiterleben." Er forderte die belgische Regierung auf, einen Opferfonds einzurichten, damit alle Opfer so lange wie nötig psychologische Unterstützung erhielten.
Polizei-Razzia
Seit einer spektakulären Polizei-Razzia bei den belgischen Bischöfen 2010, die als "Operation Kelch" Schlagzeilen machte, wurden 15 Jahre Akten gewälzt, Dokumente gelesen und nach Spuren gesucht. Die "Operation Kelch" sollte untersuchen, ob es genügend Grundlagen gab, um einen Strafprozess gegen katholische Geistliche wegen sexuellen Missbrauchs einzuleiten.
Vor allem der Fall Vangheluwe, der über Jahre zwei seiner Neffen sexuell missbrauchte, hatte in Belgien große politische Weiterungen zur Folge. Kurz nach seinem Rücktritt stürmten staatliche Missbrauchsermittler kirchliche Einrichtungen und beschlagnahmten Akten, Rechner und Handys der in Mechelen versammelten Bischöfe.
Der damalige Brüsseler Erzbischof André Leonard (84) und sein Vorgänger Kardinal Godfried Danneels (gest. 2019) mussten vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen. Auch das Ansehen von Kardinal Danneels nahm nachhaltig Schaden, da eine Tonbandaufnahme auftauchte, die eine geplante Vertuschung des Falls Vangheluwe nahelegte. Der einstige Bischof Vangheluwe wurde 2024 aus dem Klerikerstand entlassen; die höchste kirchenrechtliche Strafe für einen katholischen Priester.