DOMRADIO.DE: Picard, Lower Decks, Discovery: Star Trek ist so präsent wie lange nicht mehr. Woran liegt denn Ihrer Meinung nach das Faszinierende an dieser Zukunfts-Version?
Uwe Reckzeh (Theologe, Serienexperte): Da würde ich sagen, ist es die Faszination der Nostalgie. Das sind diejenigen, die sich erinnern an das, was so schön damals war an Star Trek. Oder ist es die Faszination des damals Neuen? Nämlich einen - und das ist auch für mich die Faszination an Star Trek - optimistischen Blick in die Zukunft zu werfen.
Wenn Sie sich mal die Science Fiction der letzten 20 bis 40 Jahre anschauen, dann sind das fast alles Dystopien. Und auch gerade das, was jetzt neu kommt, ist entweder "Weltraum Wilder Westen", oder es sind Dystopien oder zumindest sehr düstere Entwürfe einer fortschreitenden z.B. Kapitalisierung der Gesellschaft, einer fortschreitenden Technologisierung der Gesellschaft, die aber nicht nur positiv besetzt werden muss.
Gene Roddenberry hat mit Star Trek den Versuch gewagt - und das hat er auch in anderen Entwürfen getan, es gibt's ja noch Andromeda als Serie, die auf seinen Ideen basiert, dass er glaubte, die Menschheit schafft es, sich aus ihren Problemen heraus zu entwickeln. Durch Vernunft, durch einen Sinn für ein Gemeinwesen der ganzen Menschheit. Das hat seinerzeit sicherlich seinesgleichen gesucht. Und gerade deshalb ist die - obwohl optisch jetzt nicht sehr gut, aber inhaltlich - sehr gut gealterte Originalserie bis heute teilweise tagesaktuell, was die Themen angeht.
DOMRADIO.DE: Der Schöpfer Gene Roddenberry wäre jetzt 100 Jahre alt geworden. Und man muss schon sagen, vielleicht hat er sich selbst nicht als kompletten Atheisten bezeichnet, aber er hat eine ganz klare Distanz zur Religion gehabt. Er war sehr religionskritisch. Spielt denn dann Religion also keine Rolle bei Star Trek?
Reckzeh: Also ich denke, einige würden sagen, sie spielt keine Rolle oder keine richtige Rolle oder nur eine kritische. Mit dem geschulten theologischen Auge würde ich schon sagen: Nein, das stimmt nicht. Religion spielt eine Rolle.
Nehmen Sie mal alleine die faszinierende Darstellung der vulkanischen Logik-Doktrin. Das ist eine ritualisierte, in eine Orthodoxie versetzte Ideologie der Logik. Das ist fast eine Religion, die in der Optik vielleicht mit dem Buddhismus oder Konfuzianismus vergleichbar wäre und dort gespielt wird und mit Ritualen versetzt ist, wie es eine Religion hier sogar als Volksreligion ist. Und das ist natürlich schon ein Statement, wenn man sagt: Die Logik hebe ich auf eine Ebene der letzten und höchsten Instanz, die dann sogar metaphysisch wird. Das, denke ich, hat er sehr bewusst so gewählt. Auch an anderer Stelle passiert das immer wieder. Auf eine religiöse, aber auch durchaus positiv besetzt volkstümliche Vergangenheit der Menschheit wird immer mal wieder rekurriert.
DOMRADIO.DE: Ein Beispiel?
Reckzeh: In den Serien wie Voyager, zum Beispiel oder auch den Neuansetzen der Star Trek-Serie Discovery: Christopher Pike, eigentlich der Ur-Captain der Enterprise. Er wird als irisch-stämmig dargestellt, der gerne mal seine Großmutter zitiert, die immer wieder auf ihre katholische Sozialisation verweist: 'Früher hat man gesagt für das und das musst du zum Pfarrer gehen oder der Reverend macht das und das'. Also, das kommt da immer noch vor, als wäre es der Normalfall, auch in der Zukunft katholischer Ire zu sein.
Und in der Originalserie selbst gibt es die Szene, die erwähne ich immer wieder gern, weil ich die eigentlich sehr schön finde, wo Captain Kirk als Kapitän das Privileg hat, eine Ehe zu schließen. Die beiden Besatzungsmitglieder stehen vor ihm und er sagt: "Mit dem von mir von der Föderation der Vereinten Planeten übertragenen Recht und in Übereinstimmung mit allen auf diesem Schiff anwesenden Religionen". Die Religionen sind also immer noch eine normgebende Instanz für die Lebenswirklichkeit der Besatzungsmitglieder. Es ist also nicht ein areligiöser oder ein religionsfeindlicher Umgang. Wo Gene Roddenberry kritisch ist, geht es eher um die Unbeweglichkeit von Dogmen. Es geht um Kritik an Aberglaube, Strukturen wider die Vernunft und das sollte vielleicht ein moderner Mensch und auch ein moderner Christ genauso mitbedenken.
DOMRADIO.DE: Mir ist aufgefallen, dass z.B. die Klingonen, ein Krieger-Volk, werden öfters bei ihren rituellen Handlungen gezeigt. Da hat man fast den Eindruck: Religion in der Zukunft ist nur noch was für primitive, gewalttätige Völker. Täuscht der Eindruck?
Reckzeh: Der täuscht nicht, denn da wo Religion in ihrer - sagen wir mal zu kritisierenden Inkarnation auftaucht, da wird das gerne mit Rückständigkeit assoziiert. Es sind dann eher barbarische Völker, von denen sich die Besatzung irgendwie retten muss, die dann gelenkt werden von einer Person häufig und gerne, die alle Macht für sich beansprucht und dabei immer auf eine höhere Autorität verweist. "Ich bin euer Anführer, weil ich eine quasi himmlische Macht habe".
Da gibt es in allen Star Trek-Serien gute Beispiele dafür. Und das ist auch die Kritik, die Roddenberry dann gerne ansetzt, wenn Religion eigentlich nur dafür da ist, Machtkonstrukte zu stützen, die dann auch wiederum einem auf vernünftige und humanistische Entwicklung ausgerichteten Entwicklungsprozess der Menschheit zuwiderläuft, dann ist das nur zu kritisieren. Und ich denke, dass ist vor allem der Wesenskern seiner Religionskritik: Machterhalt von bestimmten Eliten
DOMRADIO.DE: Es gibt noch ein weiteres Volk, was noch viel unsympathischer ist als die Klingonen. Das sind die Borg. Das sind Maschinenmenschen. Wenn die ein Schiff oder einen Planeten überfallen, dann werden die Lebewesen mit Implantaten sozusagen kurzgeschlossen. Und diese Menschen oder diese Lebewesen verlieren ihren eigenen Willen und verhalten sich so, wie das Kollektiv es will. Kann man das auch ein bisschen als Religionskritik für eine Art Gehirnwäsche ansehen oder wäre das dann wieder so eine typisch theologische Überinterpretation?
Reckzeh: Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Das ist bestimmt auch nicht zufällig, dass das Kollektiv hier als der Schrecken dargestellt wird. Denn zum einen widerspricht es ja dem Ideal des Humanismus und der Rolle des Individuums. Das dann zwar für ein Gemeinwohl sich auszurichten hat und dessen Freiheit an der Freiheit des jeweils anderen Menschen endet. Aber das Individuum steht trotzdem im Zentrum. Dass dieser identitätsauflösende Kollektivismus dann natürlich als Schreckgespenst dargestellt ist, ist nicht ohne Absicht.
Ich würde aber nicht sagen, dass das Religionskritik ist. Ich würde eher sagen, dass das Ideologiekritik ist. Wenn Sie heute an den Begriff Kollektiv denken und ein gegenwärtiges Beispiel suchen, dann landen Sie wahrscheinlich eher bei bestimmten politischen Systemen, als dass Sie sofort an Katholizismus denken, der ja gerade in Deutschland heiß diskutiert wird, intern und extern. Und jetzt wenig hat von einer einheitlichen Masse, die brav einer anderen Gestalt ultramontan hinterherläuft.
DOMRADIO.DE: Roddenberry zeigt in der Originalserie aus den 1960er-Jahren eine geeinte Menschheit. Die Hautfarbe spielt keine Rolle mehr. Das ist wirklich bemerkenswert für die Zeit. Der Hunger nach einem fiktiven dritten Weltkrieg ist besiegt. Welches Weltbild, welche Philosophie steht denn jetzt dahinter? Sie haben eben schon das Stichwort Humanismus genannt. Aber was ist denn sozusagen der Antrieb für die Menschen in der Welt von Gene Roddenberry sich so zu verhalten, wie sie es tun, nämlich doch insgesamt eher alles positiv zu gestalten.
Reckzeh: Da möchte man manchmal an Lebensberatung denken. Und ich glaube, das ist auch der Irrtum, den jüngerer Star Trek-Serien machen. Sie sehen das alles von dieser Perspektive positiver Psychologie. Man muss einfach optimistisch an alles rangehen und dann wird auch alles gelingen. Der Optimismus in Star Trek kommt aber eben daher, dass man nicht sagt: Ich werde jetzt der coolste Wissenschaftler oder der beste, sondern ich möchte, dass es allen gut geht. Und da wir daran immer noch etwas machen möchten und machen können, gibt es auch immer noch was zu verändern.
Aber wie wir ja von Captain Picards Bruder zum Beispiel wissen, ist es genauso völlig in Ordnung, wenn man in Frankreich einen Weinberg bestellt oder ein Restaurant führt wie der Vater von Commander Sisko aus Deep Space Nine. Also sowohl die kleinen als auch die großen Geschichten sind da genauso möglich. Wenn man dem Ganzen einen Namen geben möchte, dann ist das "aufgeklärter Humanismus" vielleicht, der aber alles andere als atheistisch sein muss, wie wir ja auch aus der Geschichte wissen. Sowohl der Verband der Atheisten in Deutschland nennt sich humanistisch, wie aber auch Erasmus von Rotterdam ganz ohne Zweifel ein Humanist war. Das beschränkt sich nicht auf die Frage, ob man an Gott glaubt oder ein religiöser Mensch ist oder nicht, sondern vielmehr auf die Frage, wie man auf sein Gottesbild schaut oder eben Nicht-Gottesbild.
DOMRADIO.DE: Also, wir stellen fest: eine geeinte Menschheit, angetrieben von der Suche nach Erkenntnis. Das ist so ein bisschen so die Überschrift über Star Trek. Wie viel Paradies ist denn schon verwirklicht bei Gene Roddenberrys Zukunftsvision?
Reckzeh: Ich fürchte ein bisschen weniger als damals der Optimismus, den er hatte. Das spielte noch darauf hinaus, dass die die Block-Kämpfe des Kalten Krieges überwunden sind. Dann kamen die 1990er. Das bekanntermaßen irrtümliche Ende der Geschichte. Und dann kam 2001 und jetzt ist wieder eine andere Generation da, jetzt sind wieder andere Dinge passiert. Und wenn Sie sich jetzt mal Star Trek anschauen, dann müssen Sie mal den Vergleich ziehen zu dieser Roddenberry-Vision. Jetzt ist das im Grunde genommen eine Gesellschaft, die genauso ist wie unsere - die flotten Sprüche, die "One Liner" sind da, die "Comic Reliefs" und ja, die Besatzungen sind auch super divers. Das ist auch sicherlich eine gute Darstellung. Aber haben die die Selbstsucht hinter sich gelassen? Ich glaube weniger als die alten Besatzungen haben die dieses unüberlegte Cowboy-Bild, oder amerikanischer Held hinter sich gelassen - viel weniger als die alten Serien! Und wie sehr wird noch dieses Ideal kommuniziert, Grenzen, persönliche Profite zu überwinden? Ich glaube, das können die aktuellen Serien gar nicht mehr darstellen. Tatsächlich konzentrieren sie sich mehr auf Technologie-geleiteten Transhumanismus. Der Mensch, der irgendwie sich mit der Maschine hybridisieren kann. Und dann werden seine Erlösungs-Phantasien schon irgendwie erfüllt. Erst im Kontext unserer eigenen heutigen, auch wieder sehr turbulenten Zeiten verliert der alte Gene Roddenberry-Traum sich in trans-humanistischen Selbsterlösungs-Fantasien. Und deshalb ist Star Trek auch nicht mehr das gleiche - glaube ich - aber das ist mein sehr persönlicher Eindruck.
DOMRADIO.DE: Das heißt also, Sie würden sagen: Ein echter Star Trek-Fan, der orientiert sich lieber an der guten alten Zeit, an den guten alten Serien, wo noch mehr Moral im Spiel war?
Reckzeh: Also, ein Star Trek-Fan fängt ja schon da an, wenn man Lust hat, sich bei einem beliebigen Karnevals-Anbieter eine Uniform zu kaufen, weil die einfach so super schick aussieht. Aber wer ein Fan dieses Traumes ist, den Star Trek mal vermittelt hat, in den 1960ern bei der Originalserie, in den 80ern, als Captain Picard die neue große Mission geflogen ist und dann auch sicherlich ein bisschen poppiger bei Voyager, aber auch der Enterprise-Serie, da ist das alles durchexerziert. Wir haben einen Traum für die Menschheit und wir arbeiten dran mit Pioniergeist, Demut und Selbst-Zurücknahme und der Fähigkeit auch zu wissen, dass man nicht alles wissen kann, aber trotzdem nicht aufzuhören, danach zu suchen. Das bricht dann irgendwann ab. Und ich glaube, wer dieses Gefühl geliebt und gemocht hat: Ich kann mir schwer vorstellen, dass das jetzt in den jüngeren Serien so leicht zu finden ist. Ich hab's jedenfalls nicht gefunden.
Das Intervew führte Mathias Peter.