Kindesmissbrauch ist in Indien ein Tabu

Verschwörung des Schweigens

Im moralisch konservativen Indien ist Kindesmissbrauch immer noch ein Tabu-Thema. Nur selten werden sexuelle Übergriffe durch Autoritätspersonen wie Polizisten, Lehrer, Schul- oder Heimleiter angezeigt oder verfolgt. Vor wenigen Tagen nahmen im nordindischen Chattisgarh Eltern einer Privatschule die Sache selbst in die Hand und verprügelten einen 50-jährigen Schuldirektor. Schülerinnen hatten sich beschwert, der Mann verlange sexuelle Dienste im Austausch für bessere Noten.

 (DR)

Solche Erlebnisse sind für viele indische Kinder Alltag: Eine groß angelegte Studie des Frauenministeriums kam 2007 zu den Schluß, dass 53 Prozent der indischen Kinder einmal oder mehrmals sexuell missbraucht wurden. Von einer "Verschwörung des Schweigens" sprach die damalige Ministerin Renuka Chowdhury. "In Indien gibt es eine Tradition, Kindesmissbrauch einfach abzutun", sagte sie. "So was gibt es hier nicht, heißt es gewöhnlich."

Der überwiegende Teil der Täter sind Väter, andere Familienmitglieder oder sonstige Sorgeberechtigte. Das ist vielleicht der Grund dafür, dass nur 17 Prozent der befragten Jugendlichen sich für eine harte Bestrafung des Vergehens aussprechen. Kinderrechts-Aktivisten klagen immer wieder, dass die eigentliche Herausforderung darin liege, den Jungen und Mädchen Mut zu machen, Übergriffe zu melden.

Ein Fünftel aller Kinder der Welt lebt in Indien. Mehr als ein Drittel der 1,1 Milliarden Einwohner des Subkontinents sind unter 18 Jahre alt. Ein großer Teil lebt in Hunger und Not, ist auf Hilfe angewiesen.

Auch Missbrauch durch Entwicklungshelfer gerät selten in die Schlagzeilen. Vor einigen Jahren erregte der Fall von zwei pädophilen Briten Aufsehen, die in Mumbai (Bombay) mit ausländischen Spenden ein Kinderheim für Straßenjungen aufgebaut hatten, und dort über Jahre hinweg die Insassen sexuell ausbeuteten. Die beiden Männer wurden später von einem indischen Gericht zu einer längeren Haftstrafe verurteilt.