Kinofilm über Schulwege von Kindern in aller Welt

"Nicht ohne Uns!"

Der Kinodokumentarfilm „Nicht ohne Uns!“ erzählt von den zum Teil abenteuerlichen Schulwegen von 16 Kindern in aller Welt. Regisseurin Klausmann und Schauspieler Sittler im domradio.de-Gespräch...

Sigrid Klausmann bei Dreharbeiten / © Kinoproduktion Nicht ohne Uns!
Sigrid Klausmann bei Dreharbeiten / © Kinoproduktion Nicht ohne Uns!

domradio.de: Frau Klausmann, wie war denn Ihr Schulweg früher?

Sigrid Klausmann (Regisseurin): Ich komme aus dem Schwarzwald und bin mit knapp sechs Jahren früh eingeschult worden. Mein Schulweg war fast drei Kilometer lang. Meine Eltern hatten kein Auto. Manchmal war der Schneepflug im Winter nicht da, wenn wir früh morgens aufbrechen mussten. Wenn ich mit meiner Freundin zur Schule ging, dann haben wir uns unendlich viele Geschichten ausgedacht. Das war ein intensives Miteinander. Auf dem Weg nach Hause waren wir oft hungrig und hofften, ein Auto würde uns mitnehmen.

Walter Sittler (Schauspieler und Produzent): Ich hatte viele Schulwege, weil ich acht verschiedene Schulen besucht habe. Ich war zu Fuß, mit dem Bus oder der Bahn und mit dem Fahrrad zur Schule unterwegs … die letzten Jahre war es nicht mehr so wahnsinnig interessant, denn da war ich in Internaten - also da ging man von einem Stockwerk zum anderen.

domradio.de: In Ihrem Film wird zum Beispiel Vincent aus Österreich porträtiert. Er lebt auf einer einsamen Berghütte und hat keinen so bequemen Schulweg…

Klausmann: Der Vincent fährt eine der gefährlichsten Abfahrten in Österreich, vom Feuerkogel auf Skiern herunter. Und dann kommt eine 50-Grad-Buckelpiste, unglaublich, ich könnte da nie herunterfahren. Der erste Teil der Piste ist noch präpariert und hat einen Skilift. Und nach der Buckelpiste schlängelt sich ein schmaler Pfad durch den Wald, rechts geht’s steil herunter, links geht’s steil hoch und da preschen er und sein Vater herunter, weil der Vater sieht, wo Lawinengefahr ist. Ganz besonders gefährlich ist der Nebel. Einmal haben die beiden bei dichtem Nebel fast nicht mehr herausgefunden. Also, der Vincent macht einiges mit.

domradio.de: Finya aus Deutschland fährt ganz entspannt mit dem Skateboard in die Schule. Davon können Kinder auch außerhalb von Europa nur träumen…

Klausmann: In Jordanien habe ich mit drei Beduinenkinder gedreht, die mit ihrem Esel quer über die Berge reiten. Sie gehen eigentlich immer zur Schule, aber nicht im Winter oder wenn es regnet. Da geht es so steil die Berge herunter und die Pfade sind zum Teil sehr schmal. Und natürlich ist es ihnen schon passiert, dass der Esel ausgerutscht und gestürzt ist oder dass sie selber ausgerutscht sind. Es gibt auch Schlangen auf dem Weg in die Schule. Diese Kinder wissen nie, ob sie heil in der Schule ankommen. Oder auch der Weg durch das südafrikanische Township. Der ist vielleicht der gefährlichste Schulweg von allen Porträts überhaupt, denn dort gibt es viel Kriminalität, auch gegen Kinder. Da gibt es Jugendbanden, die machen vor niemanden Halt. Loniko stand kurz vor unseren Dreharbeiten offenbar morgens vor seinem Schulleiter und hat eine Stunde lang so furchtbar geweint, weil er ganz offensichtlich etwas sehr Bedrohliches erlebt hat. Aber er wollte gar nicht darüber sprechen. Seine Mutter hat nicht das Geld, um das so genannte Schultaxi zu bezahlen, das die Kinder von Tür zu Tür bringt.

Sittler: Und in Laos sind die Schulkinder zwei Mal über den Mekong gefahren, und dann lang mit dem Bus durch abgebrannte Wälder. Und da merkt man, die Kinder sind stark. Die machen das einfach. Jeden Tag. Das ist sehr beeindruckend.

domradio.de: Nicht alle Kinder haben die Chance, in die Schule zu gehen, obwohl sie es wollen - wie zum Beispiel Alphonsine von der Elfenbeinküste. Sie steht um vier Uhr morgens auf, geht zur Schule, aber doch nicht zur Schule…

Klausmann: Die Geschichte von Alphonsine ist mit Sicherheit die traurigste Geschichte in dem ganzen Film. Sie lebt in einem Dorf, in dem es sehr viel Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen gibt. Alphonsine ist auch davon betroffen. Sie geht tatsächlich zur Schule. Was sie dort macht, das erzählt der Film. Ich finde, das kommt auch in diesem Film wunderbar herüber - diese Anmut der Kinder, egal in welchen Umständen sie leben. Diese Anmut, wie Alphonsine mit der Kiste auf dem Kopf durch das Dorf geht. Ich muss dieses Mädchen immer wieder anschauen. Das sind nicht nur Kinder, die man nur bedauern muss, sondern im Gegenteil: man muss sie stärken. Man muss nicht Mitleid haben, sondern - wenn überhaupt - einen Zorn auf die, die verantwortlich sind, dass die Kinder arbeiten müssen und nicht zur Schule gehen dürfen oder nur eine rudimentäre Bildung bekommen.

domradio.de: In Ihrem Film sind die Kinder auch für uns ein Spiegel, die zeigen, wie wir leben. Die Bewahrung der Natur scheint ihnen allen sehr wichtig zu sein…

Klausmann: Alle Kinder machen sich Sorgen um den Zustand unseres Planeten. Auch der Junge aus Laos, der To, der fährt jeden Tag durch abgebrannten Wälder. Das ist für ihn und die Menschen ein ganz großes Thema. Die Kinder, die wir porträtieren, haben eine ganz hohe Sensibilität und ganz feine Antennen in die Gesellschaft. Man muss ihnen nur ganz genau zuhören. Ein Zuschauer des Films sagte uns: Wenn die Kinder einem das so erzählen, ohne Zeigefinger oder Sentimentalität oder Vorwurf, so geradeheraus, dann berührt das jeden.

domradio.de: Wenn die Kinder verabschiedet werden, dann kommt nur einmal Religion vor: Die Mutter legt dem Sohn wie ein Reisesegen einen Koran auf den Kopf. Spielt der Glaube sonst keine Rolle?

Sittler: Wir haben nichts hinzugefügt oder weggelassen. So war es einfach. In der nächsten Staffel, wenn wir sie finanziert bekommen, wird aber ein Schwerpunktthema Religion sein, weil die Kinder auch darüber Bescheid wissen.

domradio.de: Ihr Film heißt "Nicht ohne uns!". Warum?

Klausmann: Aus der Sicht der Kinder ist das klar: Ohne uns ist keine Zukunft. Wir Erwachsenen sind verantwortlich für ihre Gedanken, ihre Gefühle und ihr Leben.

Sittler: Nachhaltigkeit betrifft doch auch die Kinder und die Jugendlichen, die jetzt heranwachsen. Die beste Investition in die Zukunft ist, allen Kindern eine breite Bildung und Selbstbewusstsein zu schaffen. Wir müssen sie ermuntern, ihr Leben in die Hand zu nehmen, denn sie können das! Mit diesem Film wollen wir dazu einen Beitrag leisten.

Das Gespräch führte Birgitt Schippers.


Sigrid Klausmann und Walter Sittler / © dpa
Sigrid Klausmann und Walter Sittler / © dpa