Kirche in Bosnien kämpft gegen Hass und Vorurteile

"Wir müssen Brücken bauen"

Knapp 30 Jahre nach Kriegsende brodeln die Konflikte zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken in Bosnien-Herzegowina nur knapp unter der Oberfläche. Šimo Maršić sieht die Zukunft des Friedens der jungen Generation und der EU gefährdet.

Brücke "Stari most" in Mostar, Bosnien und Herzegowina / © akturer (shutterstock)
Brücke "Stari most" in Mostar, Bosnien und Herzegowina / © akturer ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor knapp 30 Jahren wurde der Krieg in Bosnien und Herzegowina mit dem Abkommen von Dayton beendet. Auch heute noch ist der Frieden zwischen den Volksgruppen der orthodoxen Serben, muslimischen Bosniaken und katholischen Kroaten sehr fragil. Sie sind im Moment auf Einladung des Hilfswerks Renovabis in Deutschland, das dieses Jahr seine Pfingstaktion unter das Motto "Damit Frieden wächst" stellt. Wie friedlich ist das Miteinander bei Ihnen im Land?

Šimo Maršić / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Šimo Maršić / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Šimo Maršić (Leiter des Jugendzentrums "Johannes Paul II." in Sarajewo): Eines der Ergebnisse des Dayton-Abkommens von 1995 war, dass die verschiedenen Volksgruppen in ethnisch getrennten Regionen leben. Die jungen Leute haben also gar nicht die Chance, sich gegenseitig kennenzulernen. Nur in den Großstädten gibt es Überschneidungspotential. Deswegen ist es so wichtig Orte zu schaffen, wo die junge Generation sich treffen und kennenlernen kann. Nur dadurch werden die Vorurteile abgebaut, die viele von Kindesbeinen an gelernt haben. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht das auf der menschlichen Ebene aus? Gibt es da noch die gleichen Spannungen wie vor 30 Jahren?

Maršić: Zwischenmenschlich hat die Wirtschaft eine große Rolle gespielt, die Gräben zu überwinden. In der Arbeit oder den Geschäften treffen die Volksgruppen aufeinander. Ein großes Problem sind die Medien, die sich explizit nur an eine der ethnischen Gruppen richten. Genau dadurch wachsen oftmals die Vorurteile.

DOMRADIO.DE: Ein großer Teil des Konfliktes spielt sich zwischen den orthodoxen Serben und den muslimischen Bosniaken ab. Die katholischen Kroaten, zu denen Sie auch gehören, sind eine Minderheit im Land. Welche Rolle spielen die Katholiken in diesem Konflikt?

Maršić: Die Katholiken machen in Bosnien und Herzegowina ungefähr 15 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Wir versuchen uns als Katholiken an die Botschaft von Papst Franziskus zu halten, die er uns bei seinem Besuch 2015 mitgegeben hat: Wir sollen Brückenbauer sein.

Im Moment heißt das, dass wir besonders versuchen die Brücke von Bosnien und Herzegowina nach Europa zu bauen. In unserem Land kommen verschiedene internationale Kräfte zusammen, die versuchen Einfluss auszuüben. Russland versucht die Serben zu beeinflussen, die arabischen Länder versuchen ihren Einfluss bei den muslimischen Bosniaken geltend zu machen. 

Šimo Maršić

 "In unserem Land kommen verschiedene internationale Kräfte zusammen, die versuchen Einfluss auszuüben."

Vor einigen Wochen hat die EU beschlossen, Beitrittsgespräche mit unserem Land aufzunehmen. Das ist ein ganz wichtiges Hoffnungszeichen für uns, weil alle Parteien und Volksgruppen sich gemeinsam dazu entschieden haben, diesen Weg zu gehen.

DOMRADIO.DE: Es ist ein weiter Weg von Beitrittsgesprächen bis zu einem tatsächlichen Eintritt in die Union. Was spielt es für eine Rolle, dass diese Option für Ihr Land am Horizont steht?

Maršić: Im Moment bringt es Hoffnung. Natürlich sehen wir jetzt noch keine direkten Auswirkungen. Das wird noch einige Zeit dauern. Das wird ein langer Weg, aber ein guter und wichtiger. Die politisch Verantwortlichen haben sich entschlossen, in diese Richtung zu gehen. Das heißt, auch unsere Gesetzgebung wird sich in den nächsten Jahren mehr und mehr den  europäischen Standards anpassen. 

Šimo Maršić

"Das wird ein langer Weg, aber ein guter und wichtiger."

Besonders für die junge Generation ist diese Perspektive sehr wichtig. Wir sehen in den letzten Jahren immer mehr, dass die jungen Menschen unser Land verlassen. Das ist immer traurig, auch für uns als katholische Kirche, wenn wir sehen, wie die Jugendlichen, mit denen wir über Jahre gearbeitet haben, das Land verlassen, um ein besseres Leben zu finden. Wir brauchen das Potential dieser Menschen in unserem Land. Ich hoffe, dass die EU-Perspektive daran etwas ändern kann.

DOMRADIO.DE: Die Abwanderung der Jugend betrifft insbesondere die Katholiken, deren Zahl seit Ende des Krieges konstant zurückgeht. Warum sind es gerade die Katholiken, die Ihr Land verlassen? 

Maršić: Es ist in der Tat leichter für die Kroaten, das Land zu verlassen. Sie haben die Möglichkeit einen kroatischen und damit EU-Pass zu beantragen. Damit ist es viel leichter, in andere europäische Länder auszuwandern. Es gibt aber auch viele Serben und Bosniaken, die das Land verlassen würden, wenn sie die Möglichkeit hätten. 

DOMRADIO.DE: Sie leiten das Jugendzentrum "Johannes Paul II." in Sarajewo, mit dem Sie sich explizit nicht nur an katholische Jugendliche richten. Sie wollen eine Brücke zwischen den verschiedenen Volksgruppen bauen. Wie bekommt man das konkret hin?

Maršić: Im Kern wird die Einrichtung von unserem Friedens-Koordinierungs-Programm getragen. Das hat drei Koordinatoren, einen Bosniaken, einen Serben und einen Kroaten. Die drei sind gemeinsam verantwortlich, die Aktivitäten zu organisieren. Unterstützt werden sie dabei noch von etwa 25 Universitätsstudenten, die auch verschiedene religiöse und nationale Hintergründe haben.

Damit schaffen wir einen besseren Zugang zu den jungen Leuten der verschiedenen Volksgruppen, wenn sie Ansprechpartner aus ihren eigenen Reihen bei uns finden. 

Šimo Maršić

"Wenn die jungen Leute bei uns die Erfahrung machen, dass die anderen nicht die Feinde sind, (...) kehren sie hinterher mit einem ganz anderen Weltbild zurück." 

Am besten schaffen wir es meistens, Verbindungen durch Studienreisen oder Sportveranstaltungen zu schaffen sowie durch Seminare oder Sommercamps. Das sind die Veranstaltungen, die die Jugendlichen zusammenbringen. Wenn die jungen Leute bei uns die Erfahrung machen, dass die anderen nicht die Feinde sind, dass man auch etwas zusammen schaffen kann, dann kehren sie hinterher mit einem ganz anderen Weltbild in ihre Dörfer zurück.

Wir hoffen und wissen, dass viele dann versuchen, ein wenig dieser Einstellung auch zu Hause in ihren lokalen Gemeinden zu verbreiten. Dabei unterstützen wir sie auch, wenn es darum geht, lokale Projekte zu organisieren.

Papst Franziskus auf dem Weg nach Sarajewo (dpa)
Papst Franziskus auf dem Weg nach Sarajewo / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vor knapp zehn Jahren hat Papst Franziskus Bosnien und Herzegowina besucht. Welche Rolle hat dieser Besuch, dieser Zuspruch der internationalen Kirche, für Sie gespielt?

Maršić; Dieser Besuch hat uns ermutigt, diese Versöhnungsarbeit weiter voranzutreiben. Wir als katholische Kirche müssen zusammen mit den jungen Generationen die Brücken bauen. Wir müssen die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes in die eigenen Hände nehmen und eine bessere Perspektive für alle schaffen. 

Dem Papst war es auch sehr wichtig, sich mit den Jugendlichen der verschiedenen Volksgruppen zu treffen. Eine muslimische Gruppe aus Srebrenica hat vor dem Papst gesungen. Eine orthodoxe Mitarbeiterin von uns hat dem Papst unser Jugendprojekt präsentiert. Er hat uns sehr ermutigt, unsere Friedens- und Versöhnungsarbeit weiter voranzutreiben.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
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Quelle:
DR