"Jetzt ist nicht die Zeit, um Party zu machen." Wie oft war dieser Satz in diesem Herbst aus Politikermund zu hören. Im Blick dabei stets die Jugend, deren vorgebliche Sorglosigkeit Deutschland in die zweite Welle gedrängt habe.
Nur vereinzelt verwiesen Wissenschaftler auf die Nöte gerade auch der jungen Generation, von der in Sachen Solidarität jetzt eine Menge abverlangt wird. Die auf vieles verzichten muss, was bis vor kurzem noch selbstverständlich war. Die nicht selten verunsichert in die Zukunft blickt.
Werden Jugendliche vergessen?
Und die Kirche? Hat sie die jungen Leute im Blick? Religionspädagogin Mirjam Schambeck antwortet darauf mit einem klaren Nein. "Die Kirche in Deutschland ist eine Kirche der Alten. Jugendliche werden symptomatisch vergessen." In der Corona-Krise habe sich das einmal mehr deutlich gezeigt.
Um auf diesem Missstand hinzuweisen hat sich die Professorin von der Universität Freiburg zuletzt im Netz zu Wort gemeldet. Auf dem theologischen Online-Portal feinschwarz.net hat sie zwei Texte zu der Thematik veröffentlicht. "Spoiled youth - betrogen durch Corona!" ist der erste überschrieben - ein Weckruf.
"Als die Kirchen besonders nötig gewesen waren, sind sie in die Versenkung abgetaucht", schreibt die Franziskanerin auf feinschwarz.net. Natürlich sei vor Ort eine Menge geschehen, hätten engagierte Christen kreative Formate entwickelt, um Solidarität zu üben und Hilfe anzubieten. "Aber das waren vor allem die Ehrenamtler", präzisiert Schambeck im Gespräch mit der ID-Redaktion.
Die offiziellen Repräsentanten der Kirche aber hätten es fast komplett versäumt, die "Ressource Religion" ins Spiel zu bringen. Stattdessen habe man Geld für Livestreams verpulvert. "Internetübertragungen transportierten die Leere und Ratlosigkeiten der Kirchen in Form klerikalisierter und sterilisierter Gottesdienste sinnenfällig in die Wohnzimmer", so die Religionspädagogin. Auf junge Leute habe das mit Sicherheit nicht einladend gewirkt.
Fokus zu sehr auf Weihnachtsgottesdienste
Auch jetzt, wo Kirche deutlicher zu vernehmen sei, sieht Schambeck eine Schieflage. Zum einen fokussiere sich alles auf die Weihnachtsgottesdienste. Das sei gut und schön. "Aber Liturgie ist eben nicht alles." Zum anderen geschehe die Jugendarbeit weiterhin überwiegend im Verborgenen. "Wenn in der öffentlichen Diskussion vom Einsatz der Kirche die Rede ist, dann ist von einem Engagement für Jugendliche kaum etwas zu hören", beklagt die Theologin.
Dabei zeigten die ersten Studien, die es zum Thema Jugend und Corona gibt, ein klares Bild: "Junge Leute leiden stark unter der Situation." Viele hätten das Gefühl, um Lebenszeit betrogen zu werden. Besonders hart treffe es Jugendliche aus prekären Milieus: "Ihnen fehlt nicht nur das Wünschenswerte, sondern das Lebensnotwendige." In diese Wunde, so Schambeck, müsse die Kirche den Finger legen. "Wenn wir da nicht laut werden, fallen die jungen Leute hinten runter. Und das können wir uns nicht leisten."
Konkret fordert Schambeck, dass sich Theologen und andere Kirchenvertreter viel stärker zu Wort melden, sei es in Talkshows oder auf den Feuilletonseiten der großen Zeitungen. "Wir dürfen die Debatte nicht Naturwissenschaftlern und Soziologen überlassen", fordert Schambeck.
Den "Grundverunsicherungen", die vielen jungen Leuten in der Krise zu schaffen machen, hätte gerade die Kirche einiges entgegenzusetzen. Schließlich sei es ihre ureigenste Botschaft, "dass es etwas oder sogar jemanden gibt, der die Welt nicht ins Leere oder gar ins Unglück laufen lässt".
Jugend sehr wohl für Kirche empfänglich
Das Gegenargument, dass Jugendliche für diese kirchliche Botschaft ohnehin nicht mehr empfänglich seien, will die Theologin dabei nicht gelten lassen: Auch wenn viele Jugendstudien zeigten, dass alles, was nach Kirche riecht, Jugendliche auf Distanz gehen lässt, gehe aus denselben Studien doch ebenso klar hervor, "dass Jugendliche - egal ob getauft oder nicht - religiös höchst ansprechbar sind".
Freilich müsse die Kirche eine Sprache finden, die die jungen Leute auch verstehen. Sie müsse sich endlich von Diskriminierungen verabschieden - etwa in der Frauenfrage -, die Jugendliche abstoßen. "Es ist seit jeher die Aufgabe der Kirche, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich entsprechend zu reformieren." Wer das ablehnt, so Schambeck, handele letztlich häretisch.
Und noch etwas fordert die Freiburger Professorin: Die Kirche müsse sich darum kümmern, dass das diakonische Engagement, das sie "an den Rändern" leistet, "in die Mitte" getragen wird. "Wir müssen das Gute, das geschieht, in die Öffentlichkeit rücken, und zwar so, dass die Jugendlichen aus prekären Milieus etwas davon haben."