Im Kopf hatte er die Abschiebung schon viele Male durchgespielt - ein gutes Ende hat es nie genommen. Die Gedanken des 21-jährigen Ismail Smail kreisten immer wieder um den Moment. Das Ordnungsamt klingelt, er darf 20 Kilogramm Gepäck mitnehmen, wird abgeschoben. "Ich könnte damit nicht leben." Der Gedanke an einen Sprung vom Balkon ließ den Iraker nie los. Im zehnten Stock eines Magdeburger Plattenbaus lebt er mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn. Alle seine Sorgen lösten sich mit einem Anruf auf: Er wird nicht nach Frankreich abgeschoben, wo er zuerst europäischen Boden betrat. Er kann in Deutschland Asyl beantragen.
Kirche kämpfte für Smail
Wer für ihn kämpfte? Die Kirche. "Diesen Menschen brauchen wir hier und es hätte keinen anderen Weg gegeben", sagt Petra Albert von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Ein neues Verfahren zwischen Kirchen und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe es ermöglicht, Smails Fall in einem Dossier darzustellen. "Es geht um besonders gelagerte Fälle, die ein Kirchenasyl werden würden." Die Behörde habe erneut geprüft und Smail ins nationale Verfahren übernommen. Es sei eine Erfolgsgeschichte, auch für die Behörden.
Smail ist ein Vermittler zwischen den Welten. Und er sucht seinen Platz. Als Kind besuchte er zwei Jahre einen Magdeburger Kindergarten, später absolvierte er die Grundschule in der Nähe von Stuttgart. "Mein erster Berufswunsch war deutscher Polizist", sagt er und betont das "deutsch". Seine Eltern, die damals erfolgreich einen Asylantrag gestellt hatten, nahmen ihn trotz allem wieder mit zurück in den Irak - damit waren alle Anerkennungen in Deutschland futsch.
Smail hilft anderen Asylbewerbern
Was geblieben ist: Er spricht Deutsch nahezu akzentfrei, dazu noch Englisch, Kurdisch und Arabisch. Die Fotos aus der Kindergartenzeit und die mit der Grundschulklasse schaut sich der ruhige junge Mann mit Wehmut an. Er zieht sie aus einer blauen Umhängetasche, in der er alle seine Unterlagen zusammenhält, bis zu den Behördenschreiben. "So weiß ich immer, dass ich alles dabei habe." Die Flucht und die vielen Abbrüche im Leben haben ihn geprägt.
Dem sportlichen 21-Jährigen aus Erbil im Nordirak muss niemand die Behördenschreiben übersetzen - im Gegenteil: Die Stadt Magdeburg beschäftigt ihn sogar, damit er anderen Asylbewerbern hilft. "Die Kollegen kennen ihn und schätzen ihn", sagt der Fachbereichsleiter Bürgerservice und Ordnungsamt, Frank Ehlenberger. Ihm untersteht auch die Magdeburger Ausländerbehörde. "Es ist seine Art, die meine Kollegen so schätzen." Smail sei trotz seiner 21 Jahre in der Lage, viel Druck aufzunehmen und zu verarbeiten - er sei oft an der Seite von Asylbewerbern und vermittle ihnen Möglichkeiten und Entscheidungen, sagt Ehlenberger.
Sein Traum: Ein Leben in Frieden
Nach vielen Jahren im Irak kam Smail im vergangenen November mit Frau und Sohn Oscar über Frankreich nach Deutschland. "Ich bin hier keine Gefahr, ich werde schnell arbeiten", betont er. "Dublin ist sowas wie ein Fluch. Er meint damit die Regelung, dass Asylbewerber immer in das europäische Land zurückgeschickt werden, über das sie eingereist sind. Auch Petra Albert von der Evangelischen Kirche sieht in der neuen Möglichkeit, dass Kirchen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge besondere Fälle benennen, die dann nochmals geprüft werden, einen guten Weg. Insbesondere gehe es darum, die Zahl der Kirchenasyl-Fälle aufgrund der Dublin-Regelung zu verringern.
Für Smail hat sich nun das ganze Leben gedreht. Vor kurzem, als noch die Abschiebung drohte, sagte er: "Meine Träume sind mir jetzt nicht mehr wichtig. Mein Traum ist, dass ich endlich friedlich leben kann." Sein Rechtsanwalt Ulrich Köhler sieht beste Chancen - "tadellos", sagt er. In den Irak werde aktuell niemand zurückgeschickt. Aus den schlimmen Gedanken Smails ist Tatkraft geworden. Rasch will er eine Ausbildung anfangen und selbst für seine Familie sorgen.