"Kirche in Not"-Präsident will Ausnahmen für Syrien-Hilfe

Mehr Pragmatismus bei Sanktionen zeigen

Während die Erdbeben-Hilfe in der Türkei ankommt, ist das in Syrien wegen der Wirtschaftssanktionen der EU und der USA wesentlich schwieriger. "Kirche in Not" ruft zu mehr Zivilcourage anstelle von Angst vor schwarzen Listen auf.

Ein Mensch sitzt in den Trümmern nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien / © Boris Roessler (dpa)
Ein Mensch sitzt in den Trümmern nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien / © Boris Roessler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wo gibt es in der Praxis denn Probleme wegen der Wirtschaftssanktionen?

Thomas Heine-Geldern, Exekutivpräsident des Hilfswerks Kirche in Not, am 20. Juni 2019 in Rom. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Thomas Heine-Geldern, Exekutivpräsident des Hilfswerks Kirche in Not, am 20. Juni 2019 in Rom. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Dr. Thomas Heine-Geldern (geschäftsführender Präsident von "Kirche in Not"): Humanitäre Hilfe nach Syrien zu bringen, ist extrem schwierig. Seit Jahren kämpfen wir darum, dass die in den Sanktionen vorgesehenen Ausnahmen für humanitäre Hilfe genehmigt werden.

Nur geschieht das leider nicht. Zum einen, weil sich die verschiedenen Stellen sorgen, dass sie trotz der Möglichkeit einer Ausnahme dann doch auf schwarze Listen der USA oder der EU kommen und dann in anderen Zusammenhängen boykottiert werden.

Thomas Heine-Geldern

"Die Überweisung wurde wegen der Vorsilbe syro- von der Bank gestrichen. Niemand traut sich, auf Ausnahmen zu bestehen."

Zum anderen sind Geldüberweisungen nach Syrien aus ähnlichen Gründen fast unmöglich. Das treibt bisweilen sehr merkwürdige Blüten. Zum Beispiel haben wir als kirchliches Hilfswerk, an die mit Rom unierte syro-malabarische Kirche in Südindien Geld überweisen wollen. Die Überweisung wurde wegen der Vorsilbe "syro" von der Bank gestrichen. Niemand traut sich, auf Ausnahmen zu bestehen.

Auch gibt es keine Versicherung, die eine Fracht bis Latakia an der syrischen Küste versichern würde, weil die Versicherungen wirtschaftliche Repressionen befürchten. Innerhalb Syriens ist es ebenso wahnsinnig schwierig, diese Ausnahmen von den internationalen Organisationen für humanitäre Hilfe genehmigt zu bekommen.

Da geht es sehr oft um irgendwelche Genehmigungen, die in einer ganz anderen Stadt eingeholt werden müssen und die Durchführung kleiner Hilfslieferungen wesentlich erschweren.

Hauptsächlich wollen wir ja deshalb Geld überweisen, weil wir als Hilfswerk einfach nicht die Logistik haben, alle diese Güter in die betroffenen Regionen zu bringen. Das ist aber extrem schwer, wenn Überweisungen nicht möglich sind.

DOMRADIO.DE: Bei Sanktionen muss die Politik immer abwägen, in diesem Fall um den syrischen Machthaber Assad zu schwächen. Warum ist es nötig, dass die EU und die USA ihre bisherige Strategie verändern? Denn diese Ausnahmen für humanitäre Zwecke gibt es ja.

Ein Altar mit Fotos von Rita, einem christlichen Mädchen, das auf dem Heimweg von der Schule im Januar 2018 getötet wurde, am 13. Dezember 2018 im syrischen Damaskus. Neben den Fotos stehen Figuren von Heiligen. / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Ein Altar mit Fotos von Rita, einem christlichen Mädchen, das auf dem Heimweg von der Schule im Januar 2018 getötet wurde, am 13. Dezember 2018 im syrischen Damaskus. Neben den Fotos stehen Figuren von Heiligen. / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

Heine-Geldern: Es geht nicht um die Veränderung einer Strategie, sondern nur um die Anwendung des international vereinbarten Rechts. Es liegt nicht an mir, eine Meinung zu den Sanktionen selbst zu äußern. Aber ich möchte, vor allem zum Wohle der bedrängten Christen in Syrien die Möglichkeit haben, humanitäre Hilfe leisten zu können, wie es in den Sanktionen vorgesehen ist.

Weil das so schwer ist, braucht es einen internationalen Schulterschluss. Vielleicht gesteht man infolge der Katastrophe dieses Erdbebens einzelnen Hilfsorganisationen die Durchführung humanitärer Hilfe zu.

DOMRADIO.DE: Nahrungsmittel, Arzneimittel und medizinische Ausrüstung unterliegen keinen Sanktionen. Die müssten doch da eigentlich ankommen, oder?

Heine-Geldern: Das ist nicht so einfach. Da gibt es eine ganze Reihe von administrativen Schwierigkeiten. Zum Beispiel haben wir seit Jahren für die christliche Bevölkerung in Syrien unter sehr schwierigen Umständen eine Aktion durchgeführt, die "Drop of milk" heißt. Da versuchen wir Kindern bis zu einem Alter von sechs bis acht Jahren die notwendige Milchpulver-Ration zukommen zu lassen, die ein gedeihliches Wachstum dieser Kinder ermöglicht.

Thomas Heine-Geldern

"Wir mussten das Milchpulver in Singapur kaufen, weil aufgrund der Sanktionen keines der umliegenden Länder bereit war, uns Milchpulver für christliche Kinder nach Syrien zu liefern."

Milchprodukte werden jedoch als duale Produkte gesehen, die sowohl der Zivilbevölkerung als auch dem Militär nützen können. Daher landen sie schon wieder auf der Liste. Da wird es dann schwierig, eine Ausnahme von den Sanktionen zu erwirken.

Wir mussten das Milchpulver in Singapur kaufen, weil aufgrund der Sanktionen keines der umliegenden Länder bereit war, uns Milchpulver für christliche Kinder nach Syrien zu liefern.

Das sind die Schwierigkeiten. Deshalb geht es auch nicht um eine große Strategie, sondern um eine Mischung von Pragmatismus und Zivilcourage. Es geht darum, die vorgesehenen Ausnahmen von den Sanktionen zu ermöglichen, damit der syrischen Zivilbevölkerung geholfen werden kann, die am meisten durch diese Katastrophe in der Katastrophe – erst zwölf Jahre Bürgerkrieg, dann die Pandemie nun auch noch das Erdbeben – leidet.

Wir mischen uns nicht in die große Politik der Sanktionen ein. Aber wir wollen, dass die internationale Staatengemeinschaft die vorgesehenen Ausnahmen auch anwenden kann.

Das Interview führte Elena Hong.

Kirche in Not

KIRCHE IN NOT ist ein pastorales Hilfswerk, das sich rein aus Spenden finanziert. Es hilft vor allem bei der Aus- und Weiterbildung von Seminaristen, Priestern und Ordensleuten, bei Bau und Renovierung von Ausbildungsstätten und Kirchen, beim Übersetzen und Verlegen der Bibel und anderer religiöser Literatur und bei der Ausstrahlung religiöser Rundfunkprogramme.

KIRCHE IN NOT / Ostpriesterhilfe Deutschland e. V. (KiN)
KIRCHE IN NOT / Ostpriesterhilfe Deutschland e. V. / ( KiN )
Quelle:
DR