domradio.de: Sie waren gerade in Nigeria. Was haben Sie dort erlebt?
Karin Maria Fenbert (Geschäftsführerin von Kirche in Not Deutschland): Eine unheimlich große Glaubensfreude und eine in den letzten Jahrzehnten gigantisch gewachsene Kirche auf der positiven Seite. Andererseits habe ich auch große Not und unvorstellbare Einzelschicksale gesehen,
domradio.de: Sie waren im Norden Nigerias unterwegs, genau da, wo Boko Haram mit seinem Terrorfeldzug begonnen hat. Wie stark sind die Islamisten jetzt noch?
Fenbert: Die Kämpfer von Boko Haram sind sicher seit dem Machtwechsel etwas zurückgedrängt worden. Allerdings nicht so, dass man sie nicht mehr spüren würde. Gerade einen Tag nach meiner Rückkehr aus Nigeria gab schon wieder eine Meldung, dass auf dem Highway von Maiduguri mehrere Selbstmordattentate stattgefunden haben.
domradio.de: Man hört, dass Boko Haram für seine Selbstmordanschläge sogar Kinder heranzieht. Können Sie das bestätigen?
Fenbert: Leider kann ich das bestätigen. Wir haben mit einer Familie in Maiduguri gesprochen, der Stadt, wo Boko Haram seine Wurzeln hat. Die Familie besteht noch aus einer Mutter, zwei Kindern und der Schwiegermutter. Die Kinder sind gerade jetzt Anfang März nach über drei Jahren aus einem Lager befreit worden, wo sie total auf den Koran gedrillt wurden, ihn auch arabisch aufsagen konnten, obwohl sie normalerweise gar nicht arabisch sprechen. Ihnen wurde gesagt, was Allah gefällt und was nicht, so dass die Kinder auch für solche Selbstmordattentate bereit wären.
domradio.de: Rund fünf Millionen Menschen leiden allein in Nigeria Hunger. Wie hängt das mit dem Terror zusammen?
Fenbert: Da gibt es sicher einen Zusammenhang. Ich habe unterschiedliche Zahlen gehört. Ungefähr zwischen 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen sind im eigenen Land vertrieben, was sicher dem Terror geschuldet ist. Allerdings ist das nicht nur Boko Haram alleine zuzuschreiben. Die drittgefährlichste Terrorgruppe der Welt soll nach den Angaben unserer Gesprächspartner vor Ort in Nigeria die Fulani-Gruppe sein. Boko Haram gilt als die gefährlichste, was die Tötungsdelikte angeht, danach der IS und dann die Fulani, die nicht nur in Nigeria agieren, aber gerade ganz stark den südlichen Teil des Bundesstaates Kaduna, der im Nordteil von Nigeria liegt, heimsuchen.
domradio.de: Sie haben von einer stark wachsenden Kirche gesprochen und unterstützen ja auch selber mit Kirche in Not zahlreiche kirchliche Projekte vor Ort. Können Sie Beispiele nennen, wie die Kirche den Menschen dort hilft?
Fenbert: In Maiduguri kümmert sich vor allem Bischof Dashe Doeme um die Vertriebenen. In Maiduguri selbst sollen in diesem Gebiet, was sowohl eine Stadt als auch einen Landstrich umfasst, bis zu 1,5 Millionen Vertriebene sein. Die kommen zwar nach den Angaben vor Ort zu 70 bis 80 Prozent bei Verwandten, Bekannten oder Freunden unter - offenbar funktionieren in Nigeria die Familienstrukturen noch sehr gut - aber 30 Prozent haben keinen solchen Anhang oder eine Unterschlupfmöglichkeit. Um diese Menschen kümmert sich eigentlich dann nur die Kirche, denn es handelt sich in der Regel um vertriebene Christen.
Das Interview führte Verena Tröster.