Kirche2Go: Die Kerubim

Biblische Fantasy?

Sie tauchen in der Bibel auf - Ihre Beschreibung dort könnte als Vorlage für einen Fantasy-Film dienen. Statt dessen wurden die Kerubim zur Grundlage für die vier Symbole, die heute den Evangelisten zugeordnet werden.

 (DR)

"Sie sahen aus wie Menschen. Ihre Füße waren die eines Stieres. Unter den Flügeln hatten sie Menschenhände. Jedes hatte vier Gesichter: Ein Menschengesicht, ein Löwengesicht, ein Stiergesicht und ein Adlergesicht. Und die Herrlichkeit schwebte von den Kerubim herüber, das Rauschen ihrer Flügel war wie die Stimme des Allmächtigen Gottes."

Es klingt fast wie in einem Fantasy-Roman. Doch es ist nicht Hollywood, sondern die Bibel, genauer das alttestamentliche Buch Ezechiel, in dem diese Szene spielt. Über 90 Mal werden die Kerubim dort erwähnt und haben dabei stets eine besondere Aufgabe, die Bibelwissenschaftler Gunter Fleischer so beschreibt: "Sie stehen vor allen Dingen diese Kerubim als Zeichen für die Gegenwart Gottes. Wahrscheinlich sind es Vorstellungen, die in den Mischbereich von Tier und Mensch gehören. Das kennen wir etwa von den ägyptischen Sphingen."

Ein Zeichen für die unüberbrückbare Distanz zu Gott

Also doch eine Spur Fantasy? Wichtiger als das Aussehen der Kerubim ist für die Bibel jedoch ihre Funktion. Das Wort stammt aus dem Hebräischen und kommt von "karav" - "segnen". Da wo die Kerubim auftauchen, ist Gott nicht weit. Ihre Anwesenheit steht zum einen also für die Gegenwart Gottes. Und doch zum anderen auch für die unüberbrückbare Distanz zu Gott. Das wird schon beim ersten Auftreten der Kerubim in der Bibel deutlich, bei der Vertreibung der Menschen aus der Nähe zu Gott, nämlich aus dem Paradies. Dort werden sie als Wächter aufgestellt, um dem Menschen den Zugang zum Paradies, aus dem er rausgeworfen worden ist, zu versperren.

Als Wächter treten die Kerubim vor allem im Zusammenhang mit der Bundeslade auf, jenem Kultgegenstand des Volkes Israel, in dem sich die 10 Gebote befunden haben sollen. Dort verzieren die Kerubim den Deckel der Lade. Außerdem waren Statuen der Kerubim im Tempel zu finden, dem heiligsten Ort der Israeliten. Auf ihren Flügeln wurde der so genannten Thron Gottes befestigt. Dahinter steckt eine uralte Vorstellung, die in der Bibel öfter aufgegriffen wird, wie Gunter Fleischer weiß: "Gott thront auf den ausgestreckten Flügeln. 'Der du auf Kerubim thronst.' So heißt es gelegentlich in den Psalmen."

Eine mythische Vorstellung, die sich verselbständigt

Es sind also vor allem eher mythische Vorstellungen, die mit den Kerubim verbunden sind und nicht unbedingt zur Klarheit beitragen, was sich denn nun genau hinter den Wesen verbirgt. Jesus selbst erwähnt sie nicht, die kirchliche Lehre lässt sie außen vor, in der Tradition werden sie irgendwann den Engeln gleichgestellt und halten so auch Einzug in den Gottesdienst. Aber die Beschreibung der Kerubim im Buch Ezechiel spielt heute in fast jedem Kirchengebäude eine besondere Rolle: Dort trifft man meist nebeneinander dargestellt auf ein Menschengesicht, ein Löwengesicht, ein Stiergesicht und ein Adlergesicht. Es sind heute die Symbole, die für die vier Evangelisten stehen: Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Sie werden vor allem durch ihre Symbole dargestellt: Löwe, Mensch, Stier und Adler.

Den Evangelisten wurden die vier Kerubim-Gesichter als Symbole zugewiesen, weil man in der frühen Kirche glaubte, dass diese vorhandenen Bilder sehr gut auf die vier Evangelien passen.

Vier Kerubim-Gesichter - Vier Evangelisten

Bibelwissenschaftler Gunter Fleischer erklärt die Zuordnung so:
"Das Matthäusevangelium beginnt mit der Menschwerdung Gottes, deshalb bekommt Matthäus das Menschengesicht. Markus beginnt mit dem Bild in der Wüste und dem Täufer, der dort auftritt. Das wird an anderen Stellen mit dem Löwen verbunden und das führt dazu, dass man dem Markus den Löwen zuordnet. Der Stier verweist auf den Ochsen, der steht bei Lukas nicht. Aber Lukas ist das Vorlageevangelium für die Weihnachtsgeschichte, die dann sehr schnell ausgefüllt wird mit den beiden Tieren Ochs und Esel, die dabei stehen. So kommt der Stier zum Lukas."

Bleibt noch der Adler, er wird zum Symbol für den Evangelisten Johannes, weil er die Perspektive von oben hat: Das Johannes-Evangelium beginnt mit dem Gedanken, dass Jesus als "das Wort" vom Himmel gekommen ist. Bei all diesen Symbolen stellt Fleischer aber klar, "dass es eine nachträgliche Anpassung ist. Vorgegebene Bilder wurden hier auf einen konkreten Sachverhalt, in diesem Fall die vier Evangelien, angepasst".