Wenn in der Kirche vom Segen die Rede ist, denkt man zumeist an den Priester, der am Ende des Gottesdienstes die Menschen mit entsprechendem Gestus segnet und ihnen auf diese Weise eine Kraft zusagt, die von Gott kommt. Schon in den ersten Büchern der Bibel ist davon die Rede, dass Gott den Menschen segnet. Der Bibelwissenschaftler Gunter Fleischer erklärt die verschiedenen Bedeutungen des Segens: "Wenn Gott segnet, dann gewährt er Anteil an sich, dann hält er schützend seine Hand über jemanden, dann will er Gutes gewähren, dann will er Gemeinschaft eröffnen mit sich."
Wenn Gott segnet, will er Gemeinschaft mit sich eröffnen
Soweit so gut. Doch nun kommt es bei der Übersetzung dieses Wortes ins Deutsche zu einem Sonderfall. Im hebräischen Original der Bibel steht für segnen das Wort "berek". Dieses Wort wird in doppeltem Sinn verwendet. Demnach segnet nicht nur Gott den Menschen, sondern in der Bibel kann umgekehrt auch der Mensch Gott segnen. Fleischer weist darauf hin, dass im Deutschen dieses Wort "berek" unterschiedlich übersetzt wird, je nach dem, wer was tut. "Wenn Gott es tut, sagen wir segnen. Wenn der Mensch es tut, sagen wir preisen. Damit verändern wir aber schon eine Vorstellung oder lassen eine bestimmte Vorstellung nicht mehr deutlich werden, die biblisch mitgegeben ist."
Der Mensch segnet Gott im "Benedictus"
Dass der Mensch Gott segnet kommt beispielsweise im so genannten Benedictus vor, dem Lobgesang des Zacharias, das fester Bestandteil jeder Laudes ist, dem Morgengebet der Kirche. Nach dem biblischen Original müsste es demnach heißen: "Gesegnet sei der Herr, der Gott Israels." Doch in der deutschen Übersetzung preist Zacharias seinen Gott für einen selbst erfahrenen Segen.
Gunter Fleischer erklärt, was es heißt, wenn der Mensch Gott segnet: "Das, was mir Gott seinerseits zuspricht, nehme ich an. Ich stelle mich genau in die von ihm eröffnete Gemeinschaft hinein." Es handelt sich also immer um ein Antworthandeln zwischen dem, was Gott tut und was der Mensch tut. Die Bibel bringt es dadurch zum Ausdruck, dass sie immer ein und das selbe Wort verwendet.
Wenn der Mensch Gott segnet, gibt er ihm die passende Antwort
Ein menschlicher Segen ist demnach natürlich etwas anderes als ein göttlicher. Doch die Bibel will hier deutlich machen, dass es eine Antwort des Menschen geben kann auf einen erfahrenen göttlichen Segen. "Denn wenn der Mensch Gott segnet," erläutert Bibelwissenschaftler Fleischer, "heißt das soviel wie: 'Ja, ich erkenne dich als meinen Herrn an, ich möchte, dass du deine Hand auf mich legst, ich möchte zu dir gehören, zu dir sage ich Ja.'" Beim Apostel Paulus wird daraus dann die Anredeform "Herr, du bist wirklich mein Herr".