Kirchen debattieren beim Ökumenischen Empfang der Berlinale

Aufrüttelndes Kino

Welche Rolle spielen Filme in einer offenen Gesellschaft? Beim Ökumenischen Empfang der Kirchen auf der Berlinale diskutierten darüber der katholische Medienbischof Kardinal Reinhard Marx und der Filmproduzent Ingo Fließ.

Autor/in:
Josef Lederle
Berlinale / © Denis Makarenko (shutterstock)

Es wurde schnell grundsätzlich beim Ökumenischen Kirchenempfang während der 74. Berlinale. Auf dem Podium diskutierten der katholische Medienbischof, Kardinal Reinhard Marx, und der Münchner Produzent Ingo Fließ über Filme und Geschichten, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig sind. Fließ beklagte dabei eine "eklatanten Mangel an relevanten Stoffen" im deutschen Kino.

Würde im Mittelpunkt

Seit 1954 gibt es bei der Berlinale kirchliche Jurys. Drei Jahre, nachdem die Filmfestspiele ins Leben gerufen waren, erhielten die christlichen Kirchen einen Platz unter den unabhängigen Jurys, den sie seit 1992 gemeinsam als ökumenische Jury ausfüllen. Ihrem Selbstverständnis nach sind sie auf Internationalität und Unabhängigkeit verpflichtet und auf die Suche nach künstlerischen Filmen, in den die Würde des Menschen, Freiheit und Verantwortlichkeit eine zentrale Rolle spielen.

Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, diskutiert mit Filmproduzent Ingo Fließ beim Ökumenischen Empfang der DBK und der EKD anlässlich der Berlinale 2024 / © Walter Wetzler  (KNA)
Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, diskutiert mit Filmproduzent Ingo Fließ beim Ökumenischen Empfang der DBK und der EKD anlässlich der Berlinale 2024 / © Walter Wetzler ( KNA )

Das seien auch für die Gegenwart relevante Kriterien, unterstrich Medienbischof Marx, der mit Blick auf Diskriminierung, Antisemitismus und Hass kurz auch theologisch wurde. Dass alle Menschen Brüdern und Schwestern sind, sei nicht nur eine Überzeugung der Aufklärung, sondern zähle zum Kern der christlichen Botschaft, so der Kardinal. Man könne gar nicht oft genug unterstreichen, dass die Kirchen von ihrem Selbstverständnis her für Demokratie einstehen müssten.

Über ungelöste Fragen ins Gespräch kommen 

Im Gespräch zwischen ihm und Produzent Ingo Fließ ging es um Filme und Geschichten, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig sind. Ausgangspunkt war "Das Lehrerzimmer" von Ilker Catak, der von Fließ und seiner "if Productions"-Firma produziert wurde. Wie in einem Brennglas spiegeln sich in diesem Film grundlegende Verhaltensweisen der Gesellschaft, wobei die Suche nach einem Dieb innerhalb der Schule zur konfliktreichen Angelegenheit wird.

Jede Figur sollte in der Geschichte möglichst recht haben und in ihrer Wahrnehmung nicht diskreditiert werden. Dass am Ende alles glatt aufgeht, funktioniert aber nur in Mathe und den Naturwissenschaften und nicht dort, wo es um Gefühle, Meinungen und Anschauungen geht. Deshalb gebe es in "Das Lehrerzimmer" keine abschließende Auflösung; das Ende bleibe bewusst offen – als Zumutung und Ansporn, über die ungelösten Fragen miteinander ins Gespräch zu kommen. So beschrieb Fließ die Grundzüge der Produktion.

Ingo Fließ, Produzent  von "Das Lehrerzimmer", diskutiert mit Reinhard Kardinal Marx beim Ökumenischen Empfang der DBK und der EKD anlässlich der Berlinale 2024 / © Walter Wetzler (KNA)
Ingo Fließ, Produzent von "Das Lehrerzimmer", diskutiert mit Reinhard Kardinal Marx beim Ökumenischen Empfang der DBK und der EKD anlässlich der Berlinale 2024 / © Walter Wetzler ( KNA )

Eigener Wahrheit folgen

Darüber reden und sich austauschen – das seien Grundbausteine der Toleranz, erwiderte Marx. Denn in einer offenen Gesellschaft müsse jeder seiner eigenen Wahrheit folgen können. Die christlichen Konfessionen hätten selbst erst in schmerzhaften Auseinandersetzungen lernen müssen, den anderen nicht als Gegner zu sehen, sondern seine Meinung stehen zu lassen und das im Gesamt der Gesellschaft durch Regeln und Verfahren auszutarieren.

Viel zu lange habe man Wahrheit statisch betrachtet, beklagte Marx. Dabei habe man nicht gesehen, dass jeder Satz vieldeutig sei und erst in einer kommunikativen Erörterung seine manchmal überraschenden Dimensionen enthülle.

Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, beim Ökumenischen Empfang anlässlich der Berlinale / © Walter Wetzler  (KNA)
Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, beim Ökumenischen Empfang anlässlich der Berlinale / © Walter Wetzler ( KNA )

Im Kino funktioniere dieses Modell aber nur, wenn Filme entsprechende Offerten möglich machten, ergänzte Fließ. Doch in Deutschland herrsche ein "eklatanter Mangel an gesellschaftlich relevanten Filmen". Denn der große Teil der Filme erreiche entweder das Publikum überhaupt nicht oder bewege sich in rein eskapistischen Gefilden.

Kontrovers diskutieren

Mit Vehemenz plädierte Fließ deshalb für ein Kino, das aufrüttelt und sich nicht mit dem Status quo zufrieden gibt. Es fehlten unbequeme Filme, die "den Betrieb stören" und nicht so täten, als sei alles in bester Ordnung. Die suggestive Macht der Kinobilder ist in den Augen des Produzenten eine Urkraft, die Menschen mehr als anderes in Bewegung bringt. Geschichten und Filme dieser Art seien es, die demokratische Gesellschaften befähigten, ihre Probleme, Anschauungen, Meinungen und Ansichten kontrovers zu diskutieren. Nur so könne man miteinander leben und auskommen, ohne sich auszugrenzen oder zu bekriegen.

Mitglieder der Ökumenischen Jury bei der 74. Berlinale sind Schwester Francesca Simuniova (Präsidentin der Jury), Jacques Champeuax, Karin Becker, Brent Rodriguez Plate, Marta Romanova-Jekabsone und Anita Nemes. Am kommenden Wochenende vergeben sie den Preis der Kirchen bei der Berlinale.

Quelle:
KNA