Kirchen-Mitarbeiter berichten anonym von Machtmissbrauch

"Tiefe Enttäuschung und endloses Leid"

Rund fünfzig Mitarbeitende im kirchlichen Dienst berichten im Buch "Heillose Macht!" von erschreckenden Erfahrungen des Machtmissbrauchs. Sie kämpfen gegen die Kultur der Angst, ungerechte Hierachien und wünschen sich Veränderung.

Symbolbild Missbrauch / © TetianaDov (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie lassen in Ihrem Buch fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche zu Wort kommen. Geht es da auch um Wut und Tränen - wie beim Synodalen Weg am vergangenen Wochenende?

Peter Schönheit (Mitherausgeber des Buches "Heillose Macht"): Es geht um Wut und Tränen, um tiefe Enttäuschung und endloses Leid, das hauptsächlich von Mitarbeitern der Kirche, im Wesentlichen durch Geweihte, bei gutgläubigen Menschen verursacht wird.

DOMRADIO.DE: Worüber berichten denn die betroffenen Männer und Frauen?

Schönheit: Sie erzählen über verschiedene Situationen im Leben, in denen sie von anderen gedemütigt worden sind. Um einige Beispiele zu nennen: eine Kommunionausteilerin wird während der Messe vom Pfarrer gezwungen, eine erneute Kniebeuge zu machen, weil der Pfarrer nicht mitbekommen hat, dass die Dame schon eine Kniebeuge gemacht hatte. Es kommen auch mehrfach Exkommunikationen darin vor, weil beschränkte Dorfpfarrer meinen, sich in moralische Fragen einmischen zu müssen und gutgläubige Katholiken aus der Kirche ausschließen.

Aber das für mich schlimmste Beispiel ist ein Bericht, den wir insgesamt dreimal bekommen haben, von Theologinnen, die berichten, dass sie während ihres Studiums Kontakte in die ortsansässigen Priesterseminare hatten. Diese Kontakte führten zu Schwangerschaften, diese Schwangerschaften führten zu massivem Druck vonseiten des Generalvikars, Regens und Subregens und sie bekamen viel Geld, damit die Damen nach Holland zur Abtreibung fahren durften. Das ist nur noch pervers.

Peter Schönheit

"Wir wollen das Thema auf die Tagesordnung bringen und hoffen, dass sich an dem Zustand etwas bessert."

DOMRADIO.DE: Die Menschen haben sich getraut, das anonym zu erzählen. Wenn dieses Buch herauskommt, was macht das mit den Menschen, die gerade sowieso schon sehr aufgerüttelt sind?

#OutInChurch

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich 125 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative "#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst" mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, "dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität" nicht zur Kündigung führe. (KNA, 24.1.2022)

 © Julia Steinbrecht (KNA)
© Julia Steinbrecht ( KNA )

Schönheit: Was sie beabsichtigen ist, dass eine Diskussion in Gang gesetzt wird, ähnlich wie die Aktion "#OutInChurch" plötzlich Dinge bewegt hat oder Philippa Rath mit ihrem Buch über die Berufung von Frauen oder das Kirchenvolksbegehren. Da sind Dinge auf die Tagesordnung gekommen und haben ein ganz anderes Gewicht bekommen. Bei "#OutInChurch" haben einige Diözesen innerhalb von wenigen Wochen angefangen, ihr Arbeitsrecht zu ändern. Etwas Ähnliches wollen wir auch tun. Wir wollen das Thema auf die Tagesordnung bringen und hoffen, dass sich an dem Zustand etwas bessert.

DOMRADIO.DE: Das System Kirche basiert demnach auf einer "Kultur der Angst". Wie macht die Kirche ihren Mitarbeitern Angst?

Schönheit: Zunächst basiert die Kirche nicht auf einem System der Angst, sondern eigentlich auf der Nächstenliebe. Das war der Ursprung. Es hat sich nur ein Machtgefüge entwickelt, was ein System der Angst hervorgerufen hat, weil wir es letztendlich mit einem autoritären, absolut monarchischen System zu tun haben. Dabei schlägt - wie in Bayern gesagt wird - der Ober den Unter, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Rücksicht auf Kompetenz.

Es geht also nicht darum, dass Leute kompetent sind, Meinungen einbringen, oder wie wir letzte Woche in Frankfurt beim Synodalen Weg gesehen haben: Fünfzig Prozent der Beteiligten, alte Männer, die eigentlich von dem Thema nicht so richtig Ahnung haben, blockieren etwas, ohne sich ernsthaft damit auseinandergesetzt zu haben. Und die Mehrheit sitzt verzweifelt daneben.

DOMRADIO.DE: Unprofessionelle Führung, die an eine höhere Macht, also den Willen Gottes, gekoppelt wird - ist das das Kernproblem der katholischen Kirche? 

Schönheit: Ja, das ist das Kernproblem. Es wird sich auf Höheres berufen - auf Gott. Und damit ist auch verbunden, dass es jemanden in Rom gibt, der den Willen Gottes besser kennt und sagen kann, was richtig und was falsch ist. Das zieht sich dann ganz unten durch.

DOMRADIO.DE: Woran machen Sie das fest?

Schönheit: Ich habe mich in der letzten Zeit intensiv mit dem Thema der ontologischen Veränderungen beschäftigt und dabei unter anderem aus dem Buch von Doris Reisinger gelernt, dass Johannes Paul ll. und Paul Vl. ernsthaft der Meinung waren, der vermutlich andere heute noch sind, dass durch die Weihe das Wesen der Geweihten sich so verändert, dass sie auf einer Stufe mit Erzengeln stehen.

Das ist ein Bild, das auch immer wieder im Zusammenhang des Synodalen Weg gebraucht wird: das Bild von Hirten und Schafen. Das regt mich mittlerweile maßlos auf, weil ich im Vergleich zu unserem Pastor und Pfarrer kein dummes Schaf bin und er ein schlauer Hirt, sondern er ist genauso ein Mensch wie ich und andere. Er ist geweiht. Er hat von daher die Befähigung erhalten, bestimmte sakrale Handlungen zu vollziehen. Aber dadurch ist er nicht ein anderer Mensch geworden.

Peter Schönheit

"Er hat von daher die Befähigung erhalten, bestimmte sakrale Handlungen zu vollziehen. Aber dadurch ist er nicht ein anderer Mensch geworden."

DOMRADIO.DE: Ist denn diese Art der Führung auch eine der Ursachen, die Missbrauch begünstigen?

Schönheit: Ja absolut, auf allen Hierarchie-Ebenen sind Leute, die von sich überzeugt sind, dass sie es besser können und besser wissen, weil sie etwas Besonderes sind. Das lassen sie die Anderen ständig spüren. Ich bin Outplacementberater. Ich begleite Menschen bei der beruflichen Neuorientierung und habe mittlerweile wahrscheinlich mehr Mitarbeiter der katholischen Kirche inklusive Priester bei der beruflich Neuorientierung begleitet als Bänker. Ich war früher selbst Bänker, aber der Wunsch etwas anderes zu machen, aus dieser Organisation rauszukommen, ist nach meiner Wahrnehmung irrsinnig groß.

Peter Schönheit

"Der Wunsch etwas anderes zu machen, aus dieser Organisation rauszukommen, ist nach meiner Wahrnehmung irrsinnig groß."

DOMRADIO.DE: Der Bischof regiert wie ein Monarch, heißt es im Buch. Jetzt arbeitet die Kirche im Moment daran, die Grundordnung des kirchlichen Dienstes zu ändern. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Schönheit: Im Staatswesen ist spätestens in der Aufklärung, spätestens 1789 in Frankreich erkannt worden, dass absolute Monarchie nicht die optimale Staatsform ist und dass Demokratie deutlich menschenfreundlicher ist. Die katholische Kirche hinkt dem noch maßlos hinterher. Bei Kepler haben sie 400 Jahre gebraucht, ehe sie erkannten, dass die Welt keine Scheibe, sondern eine Kugel ist - insofern habe ich noch Hoffnung. Aber es muss dringend was passieren, wenn wir nicht demnächst ganz alleine sein wollen bei den vielen Leuten, die die Kirche gerade verlassen.

DOMRADIO.DE: Was raten Sie kirchlichen Mitarbeitenden, die dieses Gefühl von Angst oder Machtlosigkeit spüren?

Schönheit: Ich würde ihnen raten: Sucht euch eine Aufgabe, die zu euch passt und wo ihr das tun könnt, was ihr wollt und könnt. Seid nicht abhängig von schlechten Vorgesetzten. Es gibt auch gute Vorgesetzte in der katholischen Kirche, aber es gibt auch viel zu viele, die inkompetent sind. Den Mitarbeitern kann ich nur sagen, dass sie sich eine Aufgabe in einer menschenwürdigen Umgebung suchen sollen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Das Buch "Heillose Macht!"

Das Buch wurde von Thomas Hanstein, Hiltrud und Peter Schönheit herausgegeben, ist 2022 im Herder Verlag erschienen und beinhaltet 240 Seiten.

  • ISBN: 978-3-451-39553-6
  • Preis: 22 Euro
     
  • www.herder.de
  • Erschütternde Zeugnisse von Machtmissbrauch in der Kirche
  • Perspektiven für eine erneuerte Führungskultur und eine Kirche ohne Angst
Buchcover Screenshot (HERDER)
Buchcover Screenshot / ( HERDER )
Quelle:
DR